Migrationshintergründiges
„Kaliningrad – Die Bewohner“ (D 2011, Gudrun Wassermann)
Ganz im Westen von „Mütterchen Russland“, einst ganz im Osten des „Deutschen Reichs“, liegt Kaliningrad, das ehemals Königsberg geheißen wurde. Hier, in Kaliningrad/Königsberg, hat heute jeder einen „Migrationshintergrund“, war nie da und ist doch hier. Wie geht es denen, die ehedem dahin „exportiert“ wurden, dort anlandeten, wie den Bewohnern einer neuerlich europäischen Stadt am Rande „kalter Heimat“ und nicht zuletzt ehedem heißer Kriege um etwas, was so wenig deutsch wie russisch ist – vielmehr ein Land dazwischen, darin verbundenes?
Das fragt sich die Kieler Künstlerin und Filmemacherin Gudrun Wassermann, die selbst familiäre, also geschichtliche Bezüge zu der Stadt der deutschen Kreuzritter an der fern-nahen Küste des Baltikums hat. Zweimal reiste sie in das „Oblast“ und hat daraus Bilder mitgebracht, die trauern wie hoffen lassen.
Wo findet man eine Stadt, deren alle Bewohner Migranten sind? Die woher kamen und von woher gingen hierher, aus Polen, Russland wie aus Deutschland? Die sich fragen, was ihre Identität und Heimat wäre, wenn nicht Wandern zwischen den Welten. 130 Nationalitäten rund um das baltische Zentrum kann man dort ausmachen, wenn man denn gut zählt. Polen sind da neben Deutschen, Russen, Skandinavier, Balten in Legion, gleichwohl fanden alle Einwanderer keine Mehrheitsgesellschaft vor. Kaliningrad/Königsberg war nie ein „Meltingpot“ des Baltikums. Wohin kommen die Einwanderer damals wie heute? – in ein „entleertes Land“, so nennt es Wassermann, gerade ob seiner historischen Fülle.
Was ist da Herkunft, was Heimat? Gudrun Wassermann fragt nach und porträtiert Heimatlose, die eine neue Heimat gefunden haben. Beleuchtet auch, was Heimat wäre, wenn nicht nur vergangene, ausgereiste, vorgefundene. „Soll ich mich vorstellen oder nicht?“, fragt die mehrfach umgesiedelte „Deutsche“ am Anfang des Filma. Sie erzählt, auf Deutsch und manchmal Russisch. Sie ist eine der mit vielen „Migrationshintergründen“ Gebeutelten. „Karasho“, wie es so klangreich im Russischen heißt: „Es ist gut!“, die – wenn auch nur verordnete – „Völkerfreundschaft“.
Kaliningrad ist eine sichtbare Stadt der Wechsel, der Migrationen, die Wassermann zeigt. Den Schmelz- und Schmerztiegel jetzt, unfreiwillig insofern, als Identitäts- und Heimatwechsel eben nicht willkürliche sind, wenn auch von der Willkür jeweiliger Machthaber induziert. Wo ist das Paradies namens Heimat, dies einfach nur Dasein?, scheinen sich alle hier Angelandeten zu fragen. Welch’ ist der Grund für die neue Gründung?
Menschen gestrandet an einem Ostseestrand, der dennoch Hausen bietet, Entwicklungsmöglichkeiten, Biografien, die keiner mehr verstört. Der Oblast als neue Heimat für vielfach Vertriebene.
Die Stadt ist wie jede, sie bietet ebenso vieles historisches wie jetziges „Zuhause“. Sie entwickelt sich aus der Vergangenheit in ein europäisches Jetzt. Wir könnten als Zuschauer darob europäisch vereint fröhlich sein, bliebe nicht dieses Erbe des Kriegens, der Verhehrung von deutschen wie russischen und baltischen Biografien, bliebe an diesen alten Mauern nicht die Trauer über einen Verlust, der hüben wie drüben nichts zu gewinnen vermöchte.
Eine „Frontstadt“, die in Europa neben allem Vereinenden vor allem die Widersprüche zeigt. Zwischen der Heimat und der Fremde im eigenen (wessen?) Land. Und was wäre deren Sprache? Russisch, Polnisch oder Deutsch? Oder eine noch zu erfindende Sprache der Europäer? Was aber wären die denn? Alle freundlich verbundene Migranten auf einem großen, oft gegenseitig kriegerisch verhehrten, aber gerade dadurch umso verbundeneren Kontinent. (jm)
„Kaliningrad – Die Bewohner“, D 2011, 70 Min., Regie/Buch: Gudrun Wassermann, Förderung: Landesregierung S.-H., Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, ifa – Institut für Auslandsbeziehungen. Premiere ist am 23.10.2011 im Rahmen des EU-Filmfestivals „Zarya Cinema“, Kaliningrad. Installation 21.10. bis 13.11.2011 in der Art Gallery Kaliningrad.