Ungeschminkt nackt und nah
„Tuesday, After Christmas“ (Radu Muntean, Rumänien 2010)
Ein Paar, nackt auf einem zerwühlten Bett. Sie necken sich in einer Mischung aus Vertrautheit und Neugier. Es wird geküsst, gestreichelt, gegenseitig die Anatomie erkundet und dann ihre Bedeutung erörtert. Eine feste Kameraperspektive, eine lange, ungeschnittene Szene. Davon wird es noch einige geben. Die Kamera scheint die Welt auszuschließen. Die Konzentration liegt ganz auf dem Paar, von dem wir aus ihrem ziellosen Dialog vor allem eins erfahren: Hier wird die Ehe gebrochen.
In „Tuesday, After Christmas“ wird nichts Ungewöhnliches verhandelt. Ein verheirateter Mann verliebt sich in eine andere Frau. Die ist jünger als die Ehefrau und beruflich etwas niedriger stehend. Das Deutungsmuster liegt also auf der Hand: Midlife-Crisis. Geradezu eine Standardsituation. Und um eine Erklärung geht es hier nicht, die Zusammenhänge sind schnell glasklar. Aber wenn der Zuschauer gar nicht erst auf die Suche nach Gründen geschickt wird, muss er sich umso intensiver dem widmen, was passiert. Und das ist eine Menge, denn wie ein Seismograf verzeichnet der Film die kleinsten emotionalen Erschütterungen.
So innig wie am Anfang wird es nie wieder. Von dort an liegen Betrug, Täuschung und schlechtes Gewissen in den Bildern. Und auch die Beichte des Ehebruchs bringt nicht die erhoffte Befreiung, sondern nur Verzweiflung und Hass. Die Konzentration der ersten Szene behält Regisseur Radu Muntean bei. So bleiben während und nach dem Geständnis Mann und Frau gemeinsam im Bild gefangen, kein Schnitt zur nächsten Situation erlöst sie. Seine Ehrlichkeit, auf die er stolz ist, findet nicht ihren Beifall. Wie auch – ihr Leben bricht gerade zusammen. Schlaues gibt es ohnehin nicht viel zu sagen. Ihr Schmerz, seine etwas schwerfällige Ratlosigkeit, beide stehen ineinander verkeilt im Raum.
„Tuesday, After Christmas“ ist dennoch kein brodelndes Beziehungsdrama. Es ist ein Film über Alltag. Und merkwürdigerweise ist es ein kleines Stück Weihnachtsalltag, das eine Vertrautheit spüren lässt, die nur die Routine des Zusammenlebens hervorbringen kann. Die Geschenke für die gemeinsame Tochter werden von dem Paar, das seine Trennung nicht gerade zu Weihnachten bekanntgeben will, ins Wohnzimmer geschmuggelt. Schließlich soll der Weihnachtsmann die Gaben gebracht haben. Eine eingespielte Performance, bei der jeder Handgriff sitzt. Und ein Betrug.
„Tuesday, After Christmas“ gehört zur rumänischen neuen Welle. Auf Festivals weltweit stark beachtet, hat in Deutschland lediglich der Cannes-Sieger „4 Monate, 3 Wochen, 2 Tage“ die deutschen Kinos erreicht. „Tuesday, After Christmas“ ist nun ein weiterer Beweis, wie unverdient das ist. (Sven Sonne)
„Tuesday, After Christmas“ („Marti, Dupa Craciun“), Rumänien 2010, 99 Min., Regie: Radu Muntean. Weitere Vorstellungen beim Filmfest Hamburg: Do, 7.10.2010, 22 Uhr, Cinemaxx 2 (Dammtordamm 1); Fr, 8.10.2010, 22 Uhr, B-Movie (Brigittenstr. 5).