14. Filmfest Schleswig-Holstein – Augenweide

Ein bisschen Nichts für Flaschen

„Bücken für 8 Cent“ (Malte Blockhaus und Philipp Achterberg, D 2009)

18.000 Euro für ein bescheidenes Häuschen, das wär’s. Dafür müsste Jan W., wohnhaft in Kiel, „nah der Ostseehalle“, die inzwischen dumpfdoof provinziell globalisiert, freilich umso treffender „Sparkassenarena“ heißt, „rund eine Viertelmillion Flaschen“ sammeln. „Da gibt’s viel zu tun, fangen wir mal an!“ Jan bückt sich fünf Stunden am Tag, hunderte Mal, für 8 Cent. So viel Pfand bringt eine leere Bierflasche, die irgendjemand achtlos weggeworfen hat. Das mehr als Dreifache bescheren ihm Austrinker von PET-Flaschen, dafür klettert Jan auch schon mal über einen Zaun und wühlt sie aus der Sch****. Und wenn von denen nur das Etikett mit Barcode und PET-Logo bleibt, klebt Jan es auf eine pfandfreie Flasche, damit der Leergutautomat auch dafür 25 Cent ausspuckt.
Jan ist gewitzt, er versteht sein Metier, auch wenn er es sich nicht ausgesucht hat. Er ist Leergut der Gesellschaft – und gibt es ihr zurück. Als Flaschenpfandsammler hat er bei Volksfesten wie der Kieler Woche Hochkonjunktur. Da rückt er dem Müll, der ihm den Lebensunterhalt etwas sicherer macht, mit vier Einkaufswagen, die er zum Flaschen-Truck zusammenspannt, zu Leibe. 90 Euro hat er an einem seiner besten Sammeltage eingeheimst, „eine Woche Hartz IV in nur fünf Stunden“. Für Jan rechnet sich das, weil er rechnen muss. Er ist zwar nicht obdachlos wie viele seiner Flaschenpfandsammlerkollegen, aber gerade das braucht mehr Flaschen für das bisschen Nichts am äußersten Rande des Existenzminimums.
Was den Mann zumindest zu Zeiten der Hochzeit der Trinker und Flaschenwegwerfer halbwegs ernährt, taugt freilich nicht zum Lebensentwurf. „Eine Frau kannst du damit nicht anmachen, mit ’Ich bin Flaschensammler’“, weiß Jan aus reiflicher Erfahrung. Manche meinen, der Sammler von Flaschen sei selbst eine. Ist Jan nicht – aber irgendwie vom Wege der Pfänder ist er schon abgekommen, erst arbeitslos, dann familienlos, dann einer der Millionen Hartzer. Nicht seine Schuld, nun aber sein zu meisterndes Schicksal – und dabei helfen die Flaschen.
Ein bisschen (Anti-) Sozialromantik schwingt mit, wenn die Studenten am Bereich Geomedien der CAU, Malte Blockhaus und Philipp Achterberg, den Flaschensammler mit der Kamera begleiten. Sie wollen allzu sehr das Schäbige, Entwürdigende seiner Tätigkeit zeigen. Dazu geht die Kamera gerne mal „ganz nach unten“, zeigt die Flaschensammlerkarren aus der Froschperspektive. Bisschen deutlicher Pfand – ebenso die fotoverliebten und zu augenscheinlich als Kontrast gemeinten Bilder vom Volks- und Pfandproduzentenfest Kieler Woche. Inklusive Feuerwerk am Ende über der Hörn, das Jan deutlich kühler und damit realistischer beäugt als seine Filmkollegen. Egal: Wo die Themen buchstäblich auf der Straße liegen, kann man als Filmer kaum etwas falsch machen. Zumal, wenn man sich – und das ist abgesehen von den schönen Blicken in die zu engen Flaschenhälse das Plus des Films – ansonsten raus hält, einfach dem Protagonisten folgt. Und einfängt, dass er kein Beispiel für ein Underdog ist. Nee, Jan, der Flaschensammler, ist einer, der heutzutage ganz normal geworden ist – und darob nicht ohne Stolz in einer Arbeitswelt und ihrem Ethos, das längst obsolet wurde. Kein Outcast, über den man sich filmend wundern oder erbarmen müsste, sondern einer, der mit dem Fleiß, ohne den es keinen Pfand gibt, aushält, der überlebt in diesen finsteren Zeiten.
Respekt! Chapeau! Vor allem vor Jan W. Und mit ihm – natürlicherweise – auch vor seinen mitsammelnden Filmgesellen. (jm)

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