50. Nordische Filmtage Lübeck

Das Leben einer tschetschenischen Flüchtlingsfamilie in Deutschland

„Zwischen Himmel und Erde“ (Hanna Doose, D 2008)

Albert fährt im Berliner Sommer mit der Straßenbahn, Mutter und Vater werkeln im Hof der Mietkaserne. Vater Ramsam befestigt Efeu an einer Brandmauer, Mutter Sinaida rupft Gras vom kleinen Rasen. Eine scheinbare Hinterhofidylle, friedlich und behütet. Doch die äußere Beschaulichkeit trügt. Die ganze Familie Salgiriev lebt in ständiger Anspannung zwischen Hoffen und Bangen. Denn ihr Aufenthalt in Deutschland ist nicht gesichert.
Der Dokumentarfilm „Zwischen Himmel und Erde“ der Berliner Filmstudentin Hanna Doose beobachtet das Leben der Geschwister Salina und Albert. Sie leben als Asylanten aus Tschetschenien in Berlin, nachdem sie drei Jahre zuvor mit ihren Eltern vor dem Krieg geflohen sind, in den neben dem Vater noch andere nahe Verwandte aktiv verwickelt waren. Jetzt warten sie in Berlin auf die gerichtliche Anerkennung ihrer Asyl-Anträge (d.h.: Aufenthaltsgenehmigung), die von den Berliner Ausländerbehörde kategorisch negativ beschieden worden sind. Und die Mühlen der deutschen Bürokratie mahlen langsam. So sind die beiden Jugendlichen mit ihrer noch sehr jungen Schwester Arnella, ihren Eltern, die Mitte 40 sind, und ihrer Großmutter immer noch nur Geduldete in einem Land, das es ihnen schwer macht, sich endlich ohne Angst vor Abschiebung heimisch zu fühlen. Da den Eltern keine Arbeitserlaubnis erteilt wird, müssen sie von der Fürsorge leben.
Nur scheinbar eine neue Heimat: „Zwischen Himmel und Erde“ (Foto: NFL)
Der Film schildert unaufgeregt, eher leise und ohne Off-Kommentar die Situation der Salgirievs. Er lässt die Personen erzählen, befragt sie vorsichtig und begleitet sie während einiger Stationen ihres Alltags: zu Hause, bei Behördengängen, in der Schule, bei Alberts Casting, der gerne Schauspieler werden möchte. Albert (13) und seine 19-jährige Schwester Salina können sich aufgrund ihrer Jugend noch am leichtesten integrieren, beherrschen die deutsche Sprache schon relativ fließend und dürfen noch eher auf Perspektiven in ihrer neuen Heimat hoffen.
Alle, auch die Kinder, haben viele Freunde im Krieg verloren. Albert übersetzt, was der Vater sagt. Sie seien nach Deutschland gekommen, weil die Deutschen sie als Opfer des Krieges aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit am besten verstehen könnten. Die Mutter erinnert sich fassungslos, wie Jelzin eigenes russisches Gebiet bombardieren ließ. Und die Großmutter hofft immer noch auf ein Lebenszeichen ihres lange verschollenen Sohnes. Die Traumatisierung durch den Krieg ist bei allen noch zu spüren und wird zu Beginn des Filmes thematisiert. Doch der Alltag in Deutschland bricht sich seine Bahn.
Albert besucht das Gymnasium, wird später zur Realschule zurückgestuft, hat seinen kleinen osteuropäischen Freundeskreis, mit dem er wie verschworen zusammenhockt und sein Anderssein zu seinen deutschen Altersgenossen stolz und leicht resignativ zugleich konstatiert. Er träumt davon, Regisseur und Schauspieler in Hollywood zu werden, weil er dann viel Geld verdienen würde. Begeisterung fürs Kino, vom cineastischen Vater inspiriert, paart sich bei ihm mit pubertären Flausen vom großen Kinogeschäft. Als er sich dann später beim Casting für eine Agentur beweisen muss, fällt jedoch mehr seine Schüchternheit als seine Begabung auf. Dennoch: Im Abspann ist von Schauspielunterricht, den er seit einem Jahr nimmt, die Rede.
Salina wird, wie es unter Moslems üblich ist, an einen Sohn von Freunden von Verwandten „verheiratet“. Nach einem guten Drittel der Spielzeit macht der Film einen Zeitsprung (anderthalb Jahre später), und Salina ist für den Zuschauer von der Bildfläche verschwunden. Sie ist zum Ehemann und seiner Familie in eine andere Stadt gezogen. Nachdem sie zuvor von ihrer Kindheit, Tschetschenien und ihrer familiären Situation erzählt hatte, fällt sie jetzt einfach aus. Eine dramaturgische Schwäche des Films, die wohl einfach begrenzten Budget-Möglichkeiten dieser Hochschulproduktion (DFFB), vielleicht auch der limitierten Offenheit der anderen Kultur und Religion geschuldet ist. Man hätte sich gewünscht, etwas aus erster Hand von ihrem neuen Leben zu erfahren. Das gibt es aber nur spärlich aus zweiter Hand.
Der Film begleitet die Familie Salgiriev über einen Zeitraum von zwei Jahren. Es ist ein stiller, unspektakulärer Film, der eher indirekt mahnt und die deutsche Asylpraxis anklagt. Er nähert sich behutsam der Privatsphäre einer Familie, ohne voyeuristisch zu werden. Er zeigt die geduldige Beharrlichkeit seiner Protagonisten, die zwischen westlicher Zivilisation und muslimischer Tradition versuchen, ihre Existenz in Deutschland zu festigen. Auch wenn Salina einmal im Film anmerkt, dass sie keine Chance hätten, einen anderen Aufenthaltsstatus zu bekommen: „Ich glaube, eines Tages gehen wir zurück.“ (Helmut Schulzeck)
„Zwischen Himmel und Erde“, Deutschland 2008, 91 Min., DigiBeta, Buch und Regie: Hanna Doose, Kamera: Markus Zucker, Schnitt: André Nier, Produktion: Hanna Doose, DFFB.
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