48. Nordische Filmtage Lübeck
Obsessionen am Schwarzen Meer
„Herr Pilipenko und sein U-Boot„ (Jan Hinrik Drevs, René Harder, Deutschland 2006)
Mit dem eigenen U-Boot im Schwarzen Meer auf Tauchfahrt zu gehen, ist der Traum von Herrn Pilipenko. Ein Traum, den der ehemalige Kolchosen-Kranführer sich anschickt zu verwirklichen. Dass es nicht bei Gehirngespinsten bleiben wird, zeigt schon die erste Einstellung von „Herr Pilipenko und sein U-Boot“, wenn Herrn Pilipenkos kleines grünes U-Boot wie ein flach gedrückter VW-Käfer hinter einem kleinen Laster herzottelt. Aus dem Off erklärt uns Pilipenko die russische Redewendung für gänzlich Unmögliches: „Wie ein U-Boot in der Steppe“. Doch die bloße Existenz des Unterwasserfahrzeugs mit Autoreifen („Ist so einfacher ins Wasser zu kriegen“) im kleinen Örtchen Jevgenivka in der unkrainischen Steppe widerlegt noch nicht das Sprichwort. Seine Jungfernfahrt hat es noch vor sich.
Ein U-Boot in der Steppe (Foto: NFL)
„Herr Pilipenko und sein U-Boot“ begleitet Herrn Pilipenko bei den letzten Vorbereitungen vor der Probetauchfahrt im Dorfteich bis zur Jungfernfahrt im Schwarzen Meer und fängt dabei auch das Dorfleben in Jevgenivka und das Eheleben der Pilipenkos ein. Wenn der Nachbar einen Sack Äpfel vorbeibringt, gibt’s erstmal ein, nein lieber zwei Glas Wodka zur Belohnung. Die Rente wird noch vom Beamten auf dem Fahrrad vorbeigebracht: „Hier, für jeden das Gleiche.“ Abgehakt und auf zum Nächsten. Pilipenko will die Monatsrente gleich in zwei neue Autobatterien für das Boot umsetzen, doch Frau Pilipenko bescheidet anders. Da gibt es natürlich ernsthaften Ärger, als er doch beim Einbau der neuen Batterien erwischt wird und auch noch mehr als seinen Anteil der Rente investiert hat. Doch Frau Pilipenko ist Kummer gewohnt, seit sich ihr Mann vor 30 Jahren nach der Lektüre eines Sporttaucher-Heftchens in den Kopf setzte, sein eigenes U-Boot nach einer zweiseitigen Bauanleitung zusammen zu basteln. Die Tochter hat sich mit der ausgewachsenen Macke ihres Vaters abgefunden und freut sich, wenn der Enkel dem Großvater hilft: „Besser, als wenn er Wodka trinkt“.
Jan Hinrik Drevs und René Harder zeichnen das Portrait eines Träumers, der seinen Traum gegen jegliche Widerstände des Lebens verteidigt. Sei es Geldmangel, die widerborstige Ehefrau oder skeptische Nachbarn: Da wird Gartengemüse gegen Ersatzteile getauscht und der Kolchoseleiter so lange genervt, bis doch noch ein Laster für den Transport des Boots frei ist. Schließlich ist das halbe Dorf dabei, wenn es zur ersten Tauchfahrt im Teich geht. Man bekommt feuchte Hände, denn man ist dank einer automatischen Kamera mit im Boot als Pilipenko die Kammern zum ersten Mal flutet. Nur die Lauflänge des Films lässt vermuten, dass Pilipenko und sein Enkel auch wieder auftauchen werden. Zischende Ventile und platzende Schläuche im Boot lassen den Zuschauer zwischen hysterischen Lachanfällen und Nagelbeißen pendeln.
Regisseur Jan Hinrik Drevs (links), Kameramann Florian Melzer (Mitte) und Produzent Thomas Seekamp bei der Präsentation ihres Films im Filmforum Schleswig-Holstein (Foto: jm)
In dieser Szene und der darauf folgenden überschwänglichen Feier bei Wodka und Lamm zeigen sich die Stärken von Drevs’ und Harders Abenteuer-Dokumentation. Man ist unmittelbar an Pilipenkos Seite, die Anspannung wie das Glücksgefühl nach der erfolgreichen Testfahrt übertragen sich. Das liegt sicher auch an dem dramaturgischen Aufbau des Films, der einen Spannungsbogen wie ein Spielfilm hat. Man möchte in Herrn Pilipenko fast einen entfernten Verwandten von Steve Zissou aus Wes Anderson „The Life Aquatic“ erkennen. Beiden wird sich nach langem Kampf der sehnlichste Wunsch erfüllen. Was Zissou der Tigerhai, ist Pilipenko das Schwarze Meer. „Herr Pilipenko und sein U-Boot“ funktioniert aber auch als Portrait einer Familien- und Dorfgemeinschaft, ohne die Pilipenkos Traum einer bliebe.
Drevs und Harder gelingt ein unterhaltsames Plädoyer für die Kraft des Träumens und die Notwendigkeit der Solidargemeinschaft. (dakro)
„Herr Pilipenko und sein U-Boot“, Deutschland, 2006, 90 Min., 35 mm, Regie/Buch: Jan Hinrik Drevs, René Harder, Kamera: Florian Melzer, Schnitt: Renate Ober, gefördert von der MSH.