58. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2008

Gay Pride in Moskau

„East/West Sex & Politics“ (Jochen Hick, D 2008)

Denkt man an die Christopher-Street-Day-Paraden in den USA oder West-Europa, hat man farbenfrohe Bilder einer lustvollen und öffentlichen Selbstinszenierung von Lesben und Schwulen vor Augen. Die ersten Gay-Pride-Events im Jahre 2006 und 2007 in Moskau boten ein völlig anderes Bild. Eine relativ kleine Gruppe „zivil“ gekleideter russischer Gay-Pride-Aktivisten versammelte sich im eiskalten Januar 2007 in Moskau öffentlich, um trotz Demonstrationsverbotes Bürgermeister Luskov eine Petition zu überreichen. Unterstützt wurden sie von zahlreichen, westlichen Aktivisten und politischen Beobachtern, u.a. aus dem deutschen Bundestag. Der kleine Demonstrationszug hat das Rathaus jedoch nie erreicht, Gruppen von orthodoxen Christen und rechtsnationalen Schlägern verhinderten den Marsch trotz Anwesenheit internationaler Beobachter und Moskauer Polizeiaufgebot gewaltsam.

Mit dramatischen Bildern beginnt die Dokumentation „East/West Sex & Politics“, die Jochen Hick über zwei Jahre gedreht und aus eigenen Mittel und mit Hilfe der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein finanziert hat. Nach Dokumentarfilmen über lesbische und schwule Lebensstile in den USA und Deutschland wirft Hick in seinem neuen Film einen Blick auf die Lebenssituation von Homosexuellen in der jungen Demokratie Russlands.

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Mit Blumen gegen Gegendemonstranten: „East/West Sex & Politics“ (Foto: Berlinale)
Zwar wurde der Homosexuellen-Verbotsparagraph 121 bereits 1993 unter Präsident Jelzin abgeschafft, doch von einem toleranten Umgang mit sexuellen Minderheiten ist die russische Politik noch weit entfernt. Doch gerade der Umgang mit Minoritäten wird von den westlichen Demokratien als Gradmesser für eine erfolgreiche Reformen und Liberalisierung gewertet. Auf die repressive Politik von Moskaus Bürgermeister Lushkov angesprochen, verkündetet Präsident Putin, dass er sich nicht in die Angelegenheiten lokaler Politiker einmische, aber die Angelegenheit als ein demographisches Problem betrachte. Wasser auf die Mühlen orthodoxer und rechtsnationaler Schwulenhasser, die den Homosexuellen unter anderem vorwerfen, dass sie keine Kinder in die Welt setzen.

Hick verfolgt die mühevolle, politische Arbeit des russischen Aktivisten Nikolai Alekseev und stellt bald fest, dass ihm die breite Unterstützung der lesbischen und schwulen Community in Moskau fehlt. Die hat sich größtenteils mit dem Problem der öffentlichen Intoleranz arrangiert. Gut situierte Homosexuelle weichen vor den Straßenkämpfen an die Strände der Moskwa oder ins Ausland aus. Wer es sich leisten kann, lebt seine sexuelle Identität in teueren Clubs aus. Vor der Familie oder den Kollegen wird das Schwul-Sein meist verheimlicht, offenes Zur-Schau-Tragen ist die Ausnahme. Zwar gibt es einen Park, wo lesbischen Paare unter sich sind, andere öffentliche Treffpunkte wurden aber bereits geschlossen. Auf das vermeintlich unpolitische Verhalten Moskauer Homosexueller angesprochen, hält der Herausgeber des einzigen Moskauer Schwulenmagazins entgegen, dass die Aktivisten die gewalttätigen Gegenproteste erst provozieren würden. Mit der Homosexualität sei es wie mit vielen anderen Dingen in Russland: Offiziell verdammt, aber privat oder unter der Hand geduldet.

Mit „East/West Sex & Politics“ führt Jochen Hick uns nicht nur das bunte Kaleidoskop der Moskauer Lesben- und Schwulenszene vor. Er macht unterschiedliche Lebens- und Überlebensstrategien sichtbar und verständlich, stellt die Protagonisten des Kampfes für die Gleichberechtigung sexueller Minderheiten in Russland vor und sensibilisiert den Zuschauer für ihre Situation. (dakro)

East/West Sex & Politics, D 2008, 97 Min., Digi Beta. Buch, Kamera, Regie: Jochen Hick, Schnitt: Alexander Fuchs, Produktion: Jochen Hick für Galeria Alaska Productions, Hamburg. Gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.

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