Restauriert aber nicht Retro

„Der Häuserfilm“ (BRD 1984, restaurierte Fassung: D 2008, Filmgruppe Chaos)

Es ist wie damals, Ende Februar 1984, als „Der Häuserfilm“ der Filmgruppe Chaos kurz nach der Räumung der besetzten Häuser am Kieler Sophienblatt im Kommunikationszentrum Pumpe uraufgeführt wurde. Zur Premiere der restaurierten Fassung des Evergreens und Dokuments bewegter Zeiten des jugendlichen Aufruhrs und Gegenentwurfs zu etablierten Lebensentwürfen am 12. April 2008 drängen sich die Massen vor dem Eingang der Pumpe. Es ist auch noch etwas von dem Sponti-Geist der 80er vorhanden, denn die wegen Überfüllung des Kinosaals Abgewiesenen ziehen in die Alte Meierei, das letzte Relikt der Kieler Hausbesetzerszene aus den frühen 80er Jahren, um den Klassiker der Bewegung dort DVD-projiziert wiederzusehen.

Mit Unterstützung der Filmwerkstatt Kiel haben die Super-8-Filmemacher von damals ihren Film, der durch die vielen Vorführungen in knapp 25 Jahren arg gelitten hatte, restauriert. Vor allem die Tonspur wurde neu angelegt, „am Bild haben wir nichts gemacht“, betont Claudia Schmidt, Ex-Mitglied der Filmgruppe Chaos. Dutzende kaum beschriftete Tonbänder hat Schmidt durchgehört, um die entsprechenden damals im Film verwendeten Passagen wiederzufinden und digital zu restaurieren. „Muffig“ sei der Ton immer noch, sagt Schmidt. Passend zum wackelig authentischen Super-8-Bild, könnte man auch sagen.

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Szene aus dem „Häuserfilm“: Demonstranten flüchten am Sophienblatt vor den Wasserwerfern der Polizei

Stichwort Authentizität: Das spielte schon seinerzeit beim Schnitt des Films aus Hunderten Super-8-Kassetten eine Rolle. Was will man zeigen, was kann man weglassen, was nicht? Wie organisiert man Stunden Material, wie komprimiert man, ohne den Herrschaftsverhältnissen erneut im eigenen Filmen zu verfallen oder auf den medialen Leim zu gehen? Eigentlich wollte die Filmgruppe Chaos nur dokumentieren, bald aber war sie mitten drin in der Hausbesetzerszene, hatte ihr Studio in einem der besetzten Häuser. Umso verschärfter stellte sich die Frage nach den notwendigen, aber „solidarisch kritischen“ Eingriffen der Filmemacher in ihr Material. Die Antwort war eine eigene, neue, experimentelle Form des Dokumentarfilms, auch der Mut zur ausufernden Länge. Der Eindruck des Films heute: Zu lang – aber ich weiß auch nicht, was man noch weglassen könnte.

Vielleicht braucht Bewegung, deren Dokumentation, deren solidarische Begleitung solche Ausführlichkeit. Was sie nicht braucht, sind nachgetragene Heldenmythen. So wirkt die Restaurierung des Films auch erfrischend unideologisch, eben nicht als nachträglicher Kommentar zum damaligen Film- und Revolteschaffen. Es scheint, als wurde allein die Technik restauriert, nicht aber die Ansichten. Karsten Weber brachte es in seinen einleitenden Worten zur Premiere der restaurierten Fassung auf den Punkt. Sinngemäß sagte er: „Wir halten wenig von Retro und Revival. Und schließlich haben wir den damaligen Kampf um die Häuser auch verloren. Im Kulturellen haben wir nicht verloren, wir haben es möglich gemacht, dass man sich heute nicht mehr einem kleinkarierten Lebensstil unterwerfen muss. Auch mit sichtbaren Piercings und gefärbten Haarsträhnen kann man einen Job an der Supermarktkasse und am Bankschalter kriegen. Aber in allen anderen Fragen hatten wir keinen Einfluss, es ist alles schlimmer geworden. Damals hatten wir dagegen protestiert, dass Fregatten und U-Boote in Diktaturen exportiert werden. Heute ist es sogar möglich, deutsche Truppen in alle Welt zu schicken. Damals hatten wir ein ökonomisch halbwegs abgesichertes Leben. Heute können wir davon nur noch träumen. Wir hoffen, dass dieser Film und die darin erhaltenen Erfahrungen genutzt werden können für aktuelle Probleme und aktuelle Auseinandersetzungen.“

Die Agitpropwirkung, die ehedem als solche vielleicht gar nicht beabsichtigt war, hat der „Häuserfilm“ noch heute. Genauer: Er hat sie wieder, weil die Ereignisse vergangen sind und aktuelle sich als parallele Kämpfe verstehen lassen könnten. Erst an das Vergangene kann man wieder neu anknüpfen. Dennoch ist nicht zu erwarten, dass heutige Jugendliche den Film als Lehrstück für Hausbesetzungen begreifen. Die Verhältnisse sind nicht mehr so, die Wohnungsfindung ist heute keine Jagd mehr. Dennoch, sie könnte es wieder werden. Die sozialen Verteilungskämpfe, das prognostizieren selbst konservative Politologen, werden sich verschärfen. Vielleicht geht es in Zukunft nicht mehr um Häuser, sondern um andere Ressourcen. Was bleibt – auch als Lehrstück – ist die Tatsache, dass die Wiederaneignung der knappen Ressourcen durch die unterdrückten Massen nur über einen solidarischen Kampf gegen deren Ursurpatoren möglich ist.

Zu linkes, zu revolutionäres Vokabular, zu ewig gestrig? Mag sein, wo die Kämpfe von damals so fern und „retro“ scheinen. Gerade in solchen Zeiten der Restauration kommt es aber darauf an, die Taktiken und Strategien der Revolution für die Nachkommenden zu konservieren. Was sie daraus machen werden, ist ihr Ding und allein in ihrer Verantwortung. Dass das Vergangene aber bleiben muss, als Zeugnis einer Möglichkeit, dem ist der „Häuserfilm“ ohne jedes „Retro“ immer noch bewegende Renovierung. (jm)

„Der Häuserfilm“, BRD 1984 / D 2008, 165 Min., Super-8. Produktion, Kamera, Schnitt, Restaurierung: Filmgruppe Chaos. Unterstützt von der Kulturellen Filmförderung S.-H. und der Filmwerkstatt Kiel.

Wegen der großen Nachfrage bei der Premiere der restaurierten Fassung läuft der Film nochmal im Koki Kiel am 3., 4. und 17.5. jeweils um 15.30 Uhr.

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