55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005
Mein bester Kumpel ist mein Vater
„Netto“ (Robert Thalheim, D 2004)
Robert Thalheim liefert mit seinem Spielfilmdebut „Netto“ eine sehr gelungene Milieu- und Charakterstudie aus der deutschen Gegenwart. Der Student der HFF Konrad Wolf erzählt die Geschichte eines arbeitslosen Elektrikers und seines Sohnes, der nach Jahren zu seinem Vater zurückkehrt und versucht diesen aus seiner Lethargie zu befreien und wieder auf die eigenen Füße zu stellen. Ironischerweise hat sich der sozial Schutzlose, hervorragend gespielt vom Berliner Volksbühnen-Schauspieler Milan Peschel, in den Kopf gesetzt, als Personenschützer einen Neuanfang zu machen.
(Foto: Berlinale)
Regisseur Thalheim hält geschickt die Balance zwischen anrührendem Sozialdrama und situativer Komödie wenn der Sohn dem Vater zeigt, wie man eine Bewerbung schreibt, und mit ihm die Bewerbungsgespräche probt. Der Rollentausch ist bittersüß amüsant und die Begeisterung des Vaters für den Country Rock des Ex-DDR-Stars Peter Tschernig sorgt für wunderschön-leichte Momente in der Berliner Tristesse. So tanzen Vater und Sohn zum Song „Mein bester Kumpel ist mein Vater“ des „Ost-Berliner Johnny Cash“ durch die Altbauwohnung. Tatsächlich haben die Bemühungen Erfolg und der Vater wird zur Vorstellung eingeladen. Man ahnt schon, dass es nicht gutgehen wird, der Vater hat sich schon zu tief in die eigenen Lebenslügen verstrickt, als dass er seine eigenen Chancen richtig einschätzten könnte.
Thalheim hat, wie einige der jungen deutschen Filmemacher auf der diesjährgen Berlinale, auf DV gedreht. Video und eine unruhige Kameraführung passen allerdings gut zum Sujet und verstärken die Authentizität der Figuren. In einigen stimmungsvollen Nachtaufnahmen lässt Thalheim seinen Helden bewaffnet auf dem Fahrrad Patrouille durchs Berliner Regierungsviertel fahren. Scorseses „Taxi Driver“ stand wohl auch Pate, als der Vater im Bodyguard-Outfit für ein paar Sekunden als Personenschützer auftritt und einen Politiker an die Limousine begleitet. Wenn die Kamera sich dann zurückzieht und den Möchtegern-Sicherheitsmann allein auf dem Platz zeigt, tritt seine ganze Tragödie zutage.
Thalheim gönnt seiner Figur aber einen Moment der Kinomagie, wenn er am Ende von Frau und Sohn verlassen an einer Brücke auf seinen Helden Tschernig trifft. Wortlos schiebt er ihm seine Pistole hinüber und lässt damit sein latent gewalttätiges Alter Ego hinter sich. Die Kamera gibt den Blick auf Berlin im Morgengrauen frei. Befreit von seinem gefährlichsten Selbstbetrug fängt für ihn vielleicht ein neues Leben an. (dakro)