55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005

Alles eine Frage der Ausstattung?

„Sorstalanság / Fateless“ (Lájos Koltai, UNG/D/GB 2004)

Es begann mit einem Eklat: Der Film „Heights“ mit Glenn Close und Isabella Rosselini, der außer Konkurrenz im Wettbewerb der 55. Internationalen Filmfestspiele Berlin hatte laufen sollen, wurde – pikanterweise auch noch nach Drucklegung aller Programme – kurz vor Beginn des Festivals rausgeschmissen und durch „Sorstalanság / Fateless“ ersetzt. Glenn Close hatte ihr Erscheinen bei den Filmfestspielen kurzfristig aus familiären Gründen absagen müssen. Nun ja, ihr Film scheint es nicht wert gewesen zu sein, auch ohne sie zu laufen, was in gewisse Untiefen des Berlinale-Konzepts blicken lässt. Und nun kam also „Fateless“ und mit ihm Literaturnobelpreisträger Imre Kertész, nach dessen „Roman eines Schicksalslosen“ der Film entstand und der auch das Drehbuch verfasst hatte. Aber das beeindruckte nur Teile der Premierengängerschaft. So mancher Zuschauer verließ dann in Ermangelung des amerikanischen Films lieber doch den Saal.

Dabei wurde mit „Fateless“ mehr Hollywood geboten als gedacht. Schließlich ist eine über 10 Mio. Euro teure Produktion für ungarische bzw. europäische Verhältnisse durchaus High End. Das Thema Finanzierung hatte den Film in der Produktionsphase schon mehrfach zum Stillstand gebracht – aber Ende gut, alles gut: 130 min Filmerzählung über das Schicksal eines 13-14-jährigen jüdischen Budapester Jungen und seine Verschleppung in mehrere Nazi-Konzentrationslager wurden fertig und lief am 10.2., dem Berlinale-Beginn, auch in den ungarischen Kinos an.

Er habe die Geschichte eines Holocaust-Opfers von innen heraus darstellen wollen, meint Regisseur Lájos Koltai, der bereits oftmals für István Szabó hinter der Kamera stand. Hollywood mag dabei seine ästhetischen Vorstellungen mitgeprägt haben, schließlich erhielt Koltai 2001 für „Der Zauber der Malèna“ eine Oscar-Nominierung für die beste Kamera. Tatsächlich begleitet der Zuschauer den jungen Gyurka (nahezu engelhaft: Marcell Nagy) bei seinem Abschied vom Vater in Budapest 1944, auf seinem Weg zur Zwangsarbeit, dann hintereinander nach Auschwitz, Buchenwald und Zeiss – und wieder zurück ins Nachkriegs-Budapest. Man versucht die Hilflosigkeit des Kindes zu fühlen, seine Ängste zu empfinden, seine Abgestumpftheit, seinen Hunger und seine Wunden zu spüren.

Blick zurück ohne Zorn: Gyurka (Marcell Nagy) in „Fateless“ (Foto: Berlinale)

Aber Gyurkas Seele bleibt einem verschlossen. Wer nicht selbst das Furchtbare durchgemacht hat, kann das Seelenleben eines derart Geschundenen sowieso nicht ermessen, mag man meinen. Aber trotzdem werden die psychologischen Tiefen in „Fateless“ zugekleistert mit zuviel Make-up, ertrinkt die Gedankenwelt in der allzu prachtvollen Ausstattung, lullt selbst Ennio Morricones Filmmusik den Zuschauer noch mehr im Produktionsdesign ein. Am Ende sagt Gyurka das Unvorstellbare: Auch im KZ habe es so etwas wie Glück gegeben, er fühle auf gewisse Art Heimweh. Und der Zuschauer wundert sich desto mehr, wie das sein kann, war er doch die ganze Zeit dabei.

Auf Ungarisch erschien Kertész‘ Roman „Sorstalanság“ („Schicksalslosigkeit“) bereits 1975. 2002 erhielt Kertész den Nobelpreis für Literatur, und nun verfasste er auch das Drehbuch zu „Fateless“, nachdem zuvor bereits von jemand anderem erfolglos daran gearbeitet worden war. Kertész hatte diese Variante nicht gefallen: Zu viele Rückblenden, zu viele Erinnerungssequenzen – statt dessen folgen wir Gyurka nun durch die traumlose Zeit in der Hölle. „Glück ist Pflicht. Wir sind auf Erden, um glücklich zu sein“, soll Kertész 2002 die Nachricht aus Stockholm, die er als „Glückskatastrophe“ empfand, quittiert haben. Wenn man diesen Gedanken verinnerlicht, kann man Gyurkas sich entfernenden Schritten im Frühlings-Budapest 1945 mit etwas mehr Einsicht folgen. (gls)

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