55. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2005

Grenzüberschreitungen

„Les temps qui changent / Changing Times“ (André Téchiné, F 2004)

Von der nordafrikanischen Küste nahe Tanger hat man an klaren Tagen einen Blick bis nach Spanien – vom afrikanischen Kontinent zum europäischen. André Téchiné hat Tanger ganz bewusst als Schauplatz für sein Liebes- und Familiendrama gewählt, wie er in der Pressekonferenz erzählt. Hier stoßen Nord und Süd aufeinander.

Wie sich schnell herausstellt, entwickelt Téchiné in „Les temps qui changent“ aber kein Szenario, in dem unauflösbare kulturelle Gegensätze aufeinaderprallen, ganz im Gegenteil. Tanger steht für einen Ort, an dem ein friedliches Miteinander möglich ist. Die unterschiedliche kulturelle Herkunft seiner Figuren spielt keine allzu große Rolle, Téchiné konzentriert sich auf die familiären Verflechtungen und alte Liebesbeziehungen.

Antoine (Gérard Depardieu) kommt nach Tanger, um die in Verzug geratenen Bauarbeiten an einem audiovisuellem Zentrum zu überwachen. Tatsächlich jedoch sucht er nach seiner alten Liebe Cécile, gespielt von Catherine Deneuve. Cécile, eine Journalistin, die eine populäre Sendung für gemäßigt-islamische Zuhörer moderiert, hat Antoine vergessen und lebt nach 30-jähriger Ehe in einer Routine, die sie auch nicht durchbricht, als ihr Sohn Samy mit seiner algerischen Freundin Nadia und deren Sohn aus Paris zu Besuch kommt. Auch wenn sie sich Mühe gibt, bleiben ihre Ressentiments Nadia gegenüber nicht unbemerkt. So diszipliniert Cécile ist, so unbeschwert ist ihr Mann Nathan, ein marrokanisch-jüdischer Arzt. Während er die meiste Zeit mit einem Whisky am Pool verbringt, entfacht Samy eine alte Liebesbeziehung zu seinem Freund Bilal. Nadia versucht vergeblich ihre Zwillingsschwester Aicha zu einem Treffen zu überreden und flüchtet sich in eine Tablettensucht. In diese brüchige Familiebande platzt Antoine, der Cécile bald zu verstehen gibt, dass ihre Begegnung kein Zufall ist.

Das Herzstück des Films bildet die Szene, in der Cécile und Antoine nach einer Autopanne durch ein Waldstück streifen. Antoine gesteht, dass er Cécile nie vergessen hat und seine Liebe zu ihr durch die Trennung nur gewachsen sei. Er glaube daran, dass die erste Liebe auch die letzte sei. Er erklärt der ungläubigen und widerstrebenden Cècile, dass er mit ihr alt werden will.

Depardieu versteht es nicht nur, die Obsession Antoines für Cécile in der richtigen Balance zwischen Nachdrücklichkeit und Geduld zu halten, sondern seiner Figur des Bauingenieurs glaubhaft eine romantische Seele einzuhauchen. Deneuve obliegt und gelingt es, den Zuschauer in der Spannung zu halten, ob Cécile sich noch einmal der alten Liebe hingibt oder gar ganz aus ihrem Leben ausbricht.

Nie zu spät für die Liebe: Catherine Deneuve und Gérard Depardieu in „Les temps qui changent°

Catherine Deneuve und André Téchiné im Gespräch (Fotos: Berlinale)

Téchiné kann auf sich auf hervorragende Hauptdarsteller verlassen und auf fantastische Dialoge, die das Innenleben der Figuren auf den Punkt bringen, aber nie konstruiert wirken. Kein Wunder, Pascal Bonitzer hat neben Téchiné am Drehbuch gearbeitet. Dass es nie zu spät für die Liebe ist, will uns Téchiné sagen. Und das will man ihm nach diesem Film gerne glauben. (dakro)

 

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