46. Nordische Filmtage Lübeck: Filmforum Schleswig-Holstein
Die Soldaten mit dem „halben Stern“
„Die Soldaten mit dem ‚halben Stern‘ – Als ‚jüdische Mischlinge‘ in der Wehrmacht“ (D 2003, Heike Mundzeck)
Der 90-minütige Dokumentarfilm „Die Soldaten mit dem ‚halben Stern'“ beschäftigt sich mit dem bisher kaum bekannten und behandelten Schicksal von Deutschen mit „teiljüdischer“ Herkunft (ein Elternteil oder Großelternteil war jüdisch), die im Zweiten Weltkrieg in der deutschen Wehrmacht als Soldaten kämpften. Vielen dieser jungen Männer wurde erst nach der Machtergreifung Hitlers bekannt bzw. bewusst, dass sie nun nicht mehr „normale“ Deutsche, in der nationalsozialistischen Rassenterminologie „Arier“, sondern „jüdische Mischlinge“ waren. Ihre Eltern und sie hatten vor 1933 zumeist ganz gewöhnliche Leben als Deutsche geführt, waren oft vom jüdischen Glauben zum Christentum konvertiert bzw. hatten keine oder wenig Probleme mit dem teiljüdischen Hintergrund ihrer Familiengeschichten.
Dies änderte sich nach 1933 schrittweise und erlangte auch für die so genannten „Mischlinge“ spätestens nach Inkrafttreten der so genannten „Nürnberger Gesetze“ (1935: das „Reichsbürgergesetz“ und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“) bedrohliche Ausmaße. Die deutschen Juden wurden als „entartet“ stigmatisiert und ihre Unterdrückung und Schlimmeres „legalisiert“. Viele Männer mit teiljüdischer Herkunft erhofften, eine Rettung nicht nur für sich sondern auch für ihre Familien zu finden, indem sie Soldaten wurden und nach Kriegsausbruch 1939 patriotisch für ihr Vaterland kämpften, wie es schon ihre Väter und Großväter zuvor im Ersten Weltkrieg und im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 getan hatten. Als 1940 ein Gesetz ihnen untersagte, weiterhin Soldat zu bleiben, erreichten viele dennoch Ausnahmegenehmigungen zum weiteren Verbleib in der Wehrmacht oder ließen sich, wenn möglich, durch „Deutschblütigkeitserklärungen“ „arisieren“.
Heike Mundzeck lässt elf ausgewählte Zeitzeugen von ihrem Schicksal als „Halb-“ oder „Vierteljuden“ erzählen, schildert die familiären Verhältnisse, lässt sie von kränkenden Jugenderlebnissen berichten, von ihrer später wachsenden Angst, der ständigen Bedrohung, der Hoffnung, in der Wehrmacht ihrem Schicksal entgehen zu können, und wie sie sich oft mit dem Mut der Verzweiflung dagegen wehrten, dass ihre jüdische Angehörigen in die Konzentrationslager deportiert wurden. Die Mehrzahl dieser Betroffenen war getauft oder säkularisiert und fühlte sich nicht „jüdisch“. Um so stärker war ihre Bestürzung, als sie fast genauso betroffen waren wie ihre jüdischen Verwandten. Viele hofften ihren „arischen“ Kameraden und dem Staat durch besonderen Einsatz und Tapferkeit beweisen zu können, dass sie keine „schlechteren Deutschen“ seien. Doch sie mussten im Verlauf des Krieges immer mehr begreifen, dass ihre Hoffnungen (trotz mancher Unterstützung durch militärische Vorgesetzte) sich nicht erfüllen sollten. So stellt z.B. Horst Geitner, der, obwohl Sohn eines Juden, total loyal dem Staat gegenüber eingestellt war und zur Leibwache von Göring gehörte, bitter fest, dass der gesamte jüdische Teil seiner Familie das „Dritte Reich“ nicht überlebt hat.
Die Erzählungen der Zeitzeugen sind das Beste im Film. Sie klären auf und berühren den Zuschauer. Betroffen macht auch die „Chronik“ der jüdischen Familie Heidenheim, deren fünf Söhne letztendlich harte Erfahrungen mit ihren soldatischen Vitas im ersten Weltkrieg und danach machen müssen. Erhellend sind nicht zu letzt auch die Exkurse, die sich mit den jüdischen Soldaten im Deutschland des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts beschäftigen.
Eingepackt hat Regisseurin Mundzeck ihre Dokumentation in die Nacherzählung der Recherche des jungen Texaners Bryan Mark Rigg. Er wollte als junger Student zu Beginn der 90er Jahre seiner deutsch-jüdischen Herkunft in Deutschland nachforschen und stieß dabei auf das Thema der „teiljüdischen“ Soldaten. Leider geraten bisweilen die nachgestellten Szenen, in denen der junge Rigg, bepackt mit einem großen Rucksack als ständigem Begleiter, auf einem Fahrrad durch Deutschland reist, um für sein Thema Zeitzeugen und Dokumente zu finden, etwas zu gewollt und steif, was auch für einige der Spielszenen gilt, mit denen das Geschehen illustriert werden soll. Diese Ungeschicklichkeiten stören ein wenig, tun aber der Sorgfalt, mit der das Thema bearbeitet wurde, und der hohen aufklärenden Qualität dieses Films keinen Abbruch. (Helmut Schulzeck)