46. Nordische Filmtage Lübeck
Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens
„Niceland / Næsland“ (IS 2004, Fridrik Thór Fridriksson)
Jed (Martin Compston) und Chloe (Kerry Fox) verbindet eine Jugendliebe, doch die scheint zu zerbrechen, als bei einem Rendezvous der beiden Chloes Ein und Alles, ihre Katze, überfahren wird. Chloe versinkt in eine lebensbedrohende Depression, der Sinn ihres Lebens ist ihr abhanden gekommen. Jed will sie retten, verspricht ihr, er werde den Sinn des Lebens für sie finden. Doch auf seine Frage „Weiß jemand den Sinn des Lebens?“, die er in der Fabrik, in der er hilfsarbeitet, den Kollegen stellt, weiß dort niemand eine Antwort.
So ernst die Frage nach dem Sinn des Lebens ist, so bezaubernd naiv stellt sie Jed – und bricht damit imgrunde ein Tabu. Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann man nicht ernsthaft stellen, jedenfalls nicht als Erwachsener. Es sei denn man heißt Max (Gary Lewis) und ist ein kauziger Einsiedler, der auf einem Schrottplatz haust. In einem TV-Interview behauptet Max, er wisse den Sinn des Lebens. Jed packt seine Sachen, zum Leidwesen und Unverständnis seiner Eltern, und bezieht eine Wohnwagenruine auf dem Schrottplatz, zunächst nur unwillig von Max geduldet.
Kauz mit Sinn fürs (Über-) Leben: Garry Lewis als Max
Doch mehr und mehr freunden sich die beiden an. Wie Jed hat auch Max einen den Sinn des Lebens in Frage stellenden Verlust zu verschmerzen. Seit bei einem Unfall Max‘ Frau starb, redet seine Tochter, Besitzerin eines kleinen Blumenladens, nicht mehr mit ihm, weil sie ihn für schuldig am Tod ihrer Mutter hält. Seither sitzt Max jeden Tag vor dem Blumenladen, ignoriert von seiner Tochter. Jed schlägt Max einen Deal vor: Max verrät ihm den Sinn des Lebens und Jed bringt dafür die Tochter dazu wieder mit ihrem Vater zu reden. Nach einigen Wirren gelingt es Jed tatsächlich, die beiden wieder zusammenzubringen. Und damit ist auch der Sinn des Lebens geklärt, ohne dass jemand eine Antwort auf die Frage danach gegeben hätte: Der Sinn des Lebens ist, dass Menschen miteinander sprechen. Das überzeugt auch Chloe und sie „erwacht“ aus ihrem depressiven Schweigen, um am Happy End vor der Schrottplatzszenerie die Märchenhochzeit mit Jed zu feiern.
Apropos Märchen: In der Tat ist Fridrikssons Film in vielem ein Märchen, vereint das Grimmsche „Von einem der auszog, das Fürchten zu lernen“ mit Elementen aus dem Mythos von Orpheus und Eurydike – mit dem Schrottplatz als Unterwelt. Die Perspektive ist eine kindlich-naive in dem positiven Sinne, dass der jugendliche Blick noch nicht von den Desillusionierungen der Erwachsenen verstellt ist. Kindermund – auf den Punkt gebracht in der Figur von Jeds mongoloidem Freund, der als schlauer „Gnom“ dem wandernden Sucher wie ein Orakel die Richtung weist – tut hier zwar nicht Wahrheit kund, aber ist im Gegensatz zu den Erwachsenen auf der Suche danach. Der Schrottplatz ist dabei nicht nur der Ort der Handlung, sondern auch symbolischer Ort für weggeworfene Lebensträume oder Lebenssinne. Und Max ist der Wächter über diesen Friedhof derselben. Dass die Rätselfrage nach dem Sinn des Lebens schließlich die überraschende Antwort „Kommunikation“ findet, ist vor diesem Hintergrund ebenso philosophisch wie lebensnah. Insofern ist „Niceland“ auch alles andere als ein Kinder- oder Jugendfilm. Er zeigt jedoch uns allen, dass Grundfragen nicht dadurch absurd oder unwichtig sind, weil keiner auf sie eine Antwort weiß oder wissen kann. Man muss eben nur drüber reden … (gls)