54. Internationale Filmfestspiele Berlin
Worüber man nicht sprechen kann …
Die Nacht singt ihre Lieder (Romuald Karmakar, D 2003)
„Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, orakelte einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein. Er hätte seine Freude an Romuald Karmakars neuem Film „Die Nacht singt ihre Lieder“. Der Titel deutet Romantik an, doch die ist bei einem Paar in der Nicht-Fick-Zelle einer deutschen Großstadt längst der Hölle des Sprechenmüssens gewichen: Er (Frank Giering), ganz und gar erfolgloser Schriftsteller, dem die Verlagsabsagen ins Haus flattern und der sein Leid daran nur noch auszusitzen weiß, Sie (Anne Ratte-Polle), deren Ausbruchsversuche nicht minder hilflos sind wie seine verzweifelte Zurückgezogenheit. Sie reden. Sie reden, weil sie in ihrer 80er-Sozialisation gelernt haben, dass Reden irgendwie immer hilft. Nur dass es hier so gar nicht hilft.
Auch dem Film nicht. Karmakar treibt sein Kammerspiel nach einer Vorlage von Jon Fosse auf die Spitze, setzt bildlich klaustrophobische Lichter (nicht minder kunstvoll das Spiel mit der (Seelen-) Dunkelheit) und jagt den Dialog in Loriotsche Groteske. Solcher Ansatz, das Schweigen in der fast schon Parodie der „Szenen einer Ehe“ wortleer zu umranken, ist radikal, zeigt Karmakar als Mann mit dem Seziermesser am dekonstruierten Dialog. Doch da ist dieses absurd-theatralische Moment, das das stille Drama in laute Lächerlichkeit zerrt. Das Berlinale-Palast-Publikum lacht bei der Pressevorführung erst leise, dann hysterisch und schließlich nur noch gehäßig. Sie will mit einem Freund aus der herzzerschnürenden Enge entfliehen. Ihr Lover holt sie weit nach Mitternacht ab, doch sie kann sich nicht trennen. Und dazu fällt ihr dann bei Betrachtung des einzutütenden Fluchthausrats ein: „Ich habe noch nie eine Messingschale gesehen, die so traurig ist.“
Klaustrophobisches Schweigen: Frank Giering und Anne Ratte-Polle
Das Publikum johlt, lacht, wo man um Gottes Willen nicht Lachen dürfte, und Karmakar beschimpft später die Pressemeute, dass die so gar nichts verstehe, weil sie von amerikanischen Filmen verdorben sei. Der Eklat ist da, es hagelt Verrisse – die angemessen sind, weil sie das komplette Scheitern des Films erfassen. Nur eben an der falschen Stelle. Karmakar hat versucht zu zeigen, wie die Tragik einer scheiternden Liebe ganz real aussieht: lächerlich, armselig, erschütternd simpel wie der Balkonsturz des Protagonisten in den Freitod als letzten der Nicht-Auswege am Ende eines Films ohne Beginn und Ausweg.
„Die Nacht singt ihre Lieder“ ist ein missratener Film, aber er ist nicht missratener als die Beziehung, die er mit mikroskopisch sensiblem Blick kolportiert. Man wäre Wittgenstein und wohl auch Karmakars radikalem Filmblick auf das sprechende Schweigen recht nahe, würde man den Film als geplant gescheiterte Form beschreiben, die nichts tut, als ihren Inhalt minutiös und bis zum dramaturgischen Selbstmord hin zu spiegeln.
Auch so kann das Scheitern einer Liebe aussehen. Und dass Fatih Akins Epos über den Liebesscheiterhaufen mit Gold gekürt wurde und Karmakars Film in toto durchfiel – zwei Blicke auf die selbe Seite der Medaille, zeigt vielleicht nur eines: Die Liebe ist oft eher eine Sache des grauen Schweigens, nicht des bildreichen Sprechens. (jm)