54. Internationale Filmfestspiele Berlin
„Project 10 – Real Stories from a Free South Africa“ – Ein Abbild der südafrikanischen Befindlichkeit
Am 27. April 2004 feiert Südafrika den 10. Jahrestag der ersten demokratischen Wahlen in Südafrika und damit auch das endgültige Ende der Apartheid am Cap. Anlässlich dieses Datums wurde vom südafrikanischen Fernsehsender SABC 1 das „Project 10 – Real Stories from a Free South Africa“ entwickelt und in Auftrag gegeben. Als Regisseure wurden junge Talente mit einem sehr guten Einblick in die privaten Lebensverhältnisse in Südafrika mit den Dokumentationen betraut. Das Konzept bestand darin, 13 Filmemachern die Gelegenheit zu geben, Filme darüber zu drehen, wie sie die vergangen zehn Jahre in Freiheit erlebt haben und was sie Ihnen bedeuteten. Die Herausforderung bestand darin, dass die Filme einerseits die Vergangenheit reflektieren sollten, auf der anderen Seite aber in ihrer Konzentration auf persönliche Geschichten die Gegenwart als Resultat der gesellschaftlichen Umwälzungen spiegeln sollten.
Über einen Zeitraum eines Jahres wurden die jungen Filmemacher, alles noch Anfänger, im Verfassen ihrer „Drehbücher“ geschult und ihre Projekte von der Idee bis zum Schnitt begleitet. Dabei sollten die Filmemacher lernen, eine persönliche Handschrift zu entwickeln. Die Endauswahl der Filmemacher und ihrer Projekte war schwierig, weil das Auswahlgremium sicherstellen wollte, dass die ausgewählten Projekte in ihrer Gesamtheit ein möglichst breites Spektrum und umfassendes Bild des südafrikanischen Lebens während der letzten zehn Jahre wiedergeben sollten. Die meisten der letztlich berücksichtigten Filmemacher waren Frauen, die überwiegend benachteiligten Gruppen angehörten.
Herausgekommen ist dabei eine überaus interessante Sammlung von südafrikanischen Sichtweisen auf die so genannte „Rainbow Nation“. Zehn der 13 jeweils rund 50-minütigen Dokumentarfilme wurden jetzt auf dem „34. Internationalen Forum des Jungen Films“ anlässlich des Berlinale-Schwerpunktes Südafrika gezeigt.
Klar, dass die Qualität höchst unterschiedlich ausfiel. Alle Filme behandeln quasi Themen des südafrikanischen Alltags, wobei dann doch auffällt, dass einige der Geschichten in der südafrikanischen schwarzen bzw. farbigen oberen Mittelschicht angesiedelt sind, die aber im Lande bisher nur äußerst dünn vorhanden ist, und mit einer repräsentativen Schau auf den Alltag der meisten nur wenig zu tun hat.
Bei über 50 Prozent Arbeitslosigkeit im Lande verwundert es dann schon, wenn wir in „With My Children“ von Khulile Nxumalo eine Aufsteigergeschichte um die resolute und äußerst erfolgreiche Geschäftsfrau und Mama Beatrice Kubheka sehen. Sie lebt mit ihren zwei Söhnen zwar noch in der Township Soweto, suggeriert aber als erfolgverwöhnte Matriarchin mit ihrer Karrieregeschichte eine angeblich herrschende Chancengleichheit für jedermann und -frau, die bei Lichte besehen keiner Prüfung standhält. Miles, der jüngere der beiden Brüder jettet als Software-Entwickler durch die Welt. Kommt aber immer wieder heim, um seinem durch einen Unfall zum Müßiggang verleiteten Bruder als positives Gegenstück zu erscheinen.
Auch in einer besser verdienenden Schicht, in einer relativ wohlhabenden farbigen Familie im Kapstädter Malaien-Viertel Bokaap, ist der Film „Through the Eyes of My Daughter“ von Zufah Otto Sallies angesiedelt. Die Filmemacherin hat versucht, das Leben ihrer eigenen 15-jährigen Tochter zu dokumentieren. Werden zu Anfang die pubertätsbedingten Probleme zwischen Tochter und Mutter für den Film äußerst interessant und reizvoll thematisiert, wandelt sich später der verwöhnte Teenager von der Jungrebellin immer mehr zu braven Tochter, die ihr Glück in einer angestrebten Karriere als Jung-Rugby-Star in der südafrikanischen Mädchen-Nationalmannschaft sucht. Der Mutter schwillt ob der Erfolge ihrer Tochter stolz die Brust. Der Film verliert so leider die spannenden Ansätze seines ersten Teils immer mehr aus den Augen und flacht gegen Ende zum mütterlichen Fan-Movie ab.
Der eindrucksvollste Film des gesamten Projektes gelang Odette Geldenhuys mit „Being Pavarotti“. Der Film erzählt die erstaunliche Geschichte des schwarzen, armen 13-jährigen Elton, der sich als Opernsänger übt. Er lebt in Hermanus, einer kleinen Küstenstadt der südafrikanischen Provinz Western Cape, die bei den Touristen wegen der Möglichkeit zur Wal-Beobachtung besonders beliebt ist. Animiert durch eine Audio-Kassette mit Arien von Luciano Pavarotti eifert der Junge diesem nach. Er versucht, seine vielköpfige Familie durch Trinkgelder, die er mit dem Singen der Arien am Strand verdient, finanziell zu unterstützen. Anfangs werden er und seine Freunde, die auch singen, von der lokalen weißen Administration des Ortes, die mit ihren Ansichten an frühere Zeiten der Apartheid erinnert, von den Touristenplätzen verjagt und verfolgt. Die Polizei verprügelt ihn, weil ihr ausländische Touristen lieber sind als schwarze einheimische Straßenmusikanten. Doch allmählich setzt sich Elton mit seinem erstaunlichen Sangestalent durch. Über einen Chor in der Township, Auftritte bei Schulfesten und Ähnlichem erregt er schließlich die Aufmerksamkeit von jungen Tenören aus Kapstadt und gelangt so zu einem Stipendium und gesanglicher Förderung und Ausbildung durch den professionellen Opernsänger Mthunzi. „Being Pavarotti“ zeigt auf spannende und zärtliche Weise die unabänderliche Liebe eines jungen schwarzen Teenagers zur klassischen europäischen Musik und zum eigenen Singen. Ein Highlight auf der Berlinale 2004.
Allen Filmen ist die positive, motivierende Absicht, unter dem Motto „Now we are free and can make it, if we really want it“ zu eigen. Diese Sichtweise spiegelt den ungebrochenen Optimismus breiter Bevölkerungsschichten, denen es seit Ende der Apartheid oftmals ökonomisch gar nicht besser geht, die aber trotzdem wegen ihrer gewonnenen gesellschaftlichen Rechte hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Insofern ist es „Project 10“ gelungen, ein reales Abbild der gesellschaftlichen Befindlichkeit in Südafrika zu zeigen. (Helmut Schulzeck)