67. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2017
Schicksalstage eines Königs
„The King’s Choice / Kongens nei“ (Erik Poppe, Norwegen/Schweden/Dänemark/Irland 2016)
Ein alter Herr spielt mit seinen Enkeln im Schnee – ein liebevoller Großvater, der von der Tagespolitik eigentlich gar nichts wissen will, wie es scheint. Doch er wird sich wohl oder übel mit den drängenden Ereignissen beschäftigen müssen. Das macht ihm zumindest sein Sohn unmissverständlich klar, der das Heft auch durchaus selbst gern in die Hand nehmen würde. Aber dieser Sohn – Olav – ist nur der Kronprinz, und sein Vater ist Haakon VII., König von Norwegen.
„The King’s Choice“ (norwegischer Originaltitel „Kongens nei“, dt. „Das Nein des Königs“) erzählt von den historischen Ereignissen im April 1940 im Zuge des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf das an seiner Neutralität festhaltende Königreich Norwegen. Auf diesen Angriff folgten fünf Jahre Besetzung des Landes durch Nazideutschland unter der in der norwegischen Bevölkerung verhassten Kollaborationsregierung mit dem Ministerpräsidenten Vidkun Quisling. Das Trauma, das diese düstere Zeit auslöste, ist auch heute noch in Norwegen präsent. Jeder Norweger weiß, dass der König damals „nein“ zu einem Schulterschluss mit den Deutschen sagte und somit zur Symbolfigur für den norwegischen Widerstand wurde. Die Königsfamilie und die norwegische Regierung flohen 1940 nach dieser Weigerung ins Exil nach London.
Jesper Christensen in „The King’s Choice“ (Foto: Paradox Film)
In Erik Poppes Film erlebt man mit Jesper Christensen als norwegischem König zunächst jedoch keinen entschlossenen Helden, sondern einen zögerlichen, gebrechlichen Greis. Man sieht ihn geplagt vor Rückenschmerzen und bei Antritt der Flucht auf einen Gutshof fern der Hauptstadt Oslo kaum in der Lage, sich von seinem Zuhause zu lösen. Sohn und Schwiegertochter behandeln ihn respektvoll, sind aber skeptisch, ob er seiner Führungsrolle in dieser Lage gewachsen sein mag. Sie befürchten einen Hinterhalt, als der deutsche Gesandte Carl Bräuer, seinerseits durch die Wehrmacht unter Druck gesetzt, ein persönliches Treffen mit dem König zu bewerkstelligen versucht. Doch der König geht auf die Bitte ein …
Der tatsächliche König Haakon VII. wurde 1872 als dänischer Prinz Carl von Glückburg geboren. 1905 wurde er durch eine „Volksabstimmung“ zum König von Norwegen bestimmt, nachdem das Land vom schwedischen Königreich unabhängig geworden war. Schon im Vorspann zu „The King’s Choice“ wird dargelegt, dass der norwegische König eine ausschließlich repräsentative Rolle hatte und kein politischer Machthaber war. Dass Haakons Entscheidung trotzdem für das Land eine immens wichtige Rolle spielte, deckt sich mit der Interpretation des nach dem gleichnamigen Roman von Alf R. Jacobsen entstandenen Films. Dabei steht der Prozess des Findens und Artikulierens einer Haltung und der daraus resultierenden Entscheidung im Mittelpunkt – ein filmischer Entwicklungsroman.
„The King’s Choice“ war nicht nur Norwegens Oscar-Kandidat für den besten fremdsprachigen Film, sondern auch – obwohl erst Ende September 2016 angelaufen – der norwegische Kinohit des letzten Jahres. Man habe zwar geahnt, dass der Film auch ein kommerzieller Erfolg werden könne – dass das Werk aber einen derartigen Rekord erzielte, habe alle Erwartungen übertroffen, meinen die Produzenten bei der Berlinale-Pressekonferenz. Regisseur Poppe berichtet von dem überaus berührenden Erlebnis des Filmstarts am Osloer Schloss in Anwesenheit der Königsfamilie. Das weitgehend positive Image der Vertreter der Monarchie in Norwegen und ihre relative Volksnähe spiegeln sich nicht nur im Film selber, sondern auch darin, wie er aufgenommen wurde.
Erlesen ist auch das Ensemble, von dem meisterhaft wandlungsfähigen Jesper Christensen, der als Däne Haakon VII. authentisch verkörpert, über Anders Baasmo Christiansen (Panorama 2009: „Nord“) als Olav und Tuva Novotny (14+ 2006: „Vier Tage im Juni“) als Kronprinzessin Märtha bis hin zu Karl Markovics als Gesandter Carl Bräuer und Katharina Schüttler als dessen Frau Anneliese.
„Wir haben keinen Kriegsfilm gedreht, sondern einen über Führungspersönlichkeiten“, meint Regisseur Poppe. Dieses Thema stehe weltweit so dringend auf der Tagesordnung, dass er nicht zuletzt den „amerikanischen Diktator“ zu Schulungszwecken gern zu einer Vorführung einladen würde. (gls)
„The King’s Choice / Kongens nei“, Norwegen, Schweden, Dänemark, Irland 2016, 130 Min.; Regie: Erik Poppe; Buch: Jan Trygve Røyneland, Harald Rosenløw Eeg; Kamera: John Christian Rosenlund; Schnitt: Einar Egeland; Darsteller: Jesper Christensen, Anders Baasmo Christiansen, Karl Markovics, Tuva Novotny, Arthur Hakalahti.