Verbotenes Lichtspiel #10: „Reha“

Wer sich auf die Suche nach Sprüchen und Zitaten zum Thema REHA begibt, findet in erster Linie Informationen über den – falsch buchstabierten – Fußballlehrer Otto „Rehagel“, der 2004 die Griechen zum Europameister machte. Kein Wort zu Ikonen der Rückkehr in die gutbürgerliche Mitte wie Harald Juhnke oder Florian Silbereisen, keine Silbe zu Profikillern, die zu Kindergärtnern werden, oder gesichtstransplantierte Ganoven, die sich in irgendeiner Bananenrepublik zum Präsidenten wählen lassen. Das Verbotene Lichtspiel schafft endlich Abhilfe und hat sich zu seiner Jubiläumsausgabe der knallharten Aufklärung verschrieben: Hier sehen Sie alles zum Thema Reha. Von Adam an.
Den Auftakt bildet der thailändische Martial-Arts-Kracher CHOCOLATE von 2008, in dem die autistische Zen ihrer an Krebs erkrankten Mutter Zin die Chemotherapie finanziert, indem sie in brachialen Racheakten eine in Vergessenheit geratene Schuldnerliste abarbeitet. Reha als großes Ziel eines üppigen Revenge-Dramas um Schuld, Sühne und Prügelei.
Patientennummer Zwei hat William Lustigs MANIAC COP aus dem Jahre 1988, dessen Mörder in den Reihen der Polizei zu suchen ist – und als wäre das und die irrwitzige Dirty-Harry-II-Hommage, die der Film abfeiert, noch nicht „maniac“ genug, gibt es auch noch einen Gastauftritt von Sam Raimi, dessen Shakycam wohl den Point of View eines Reha-Patienten besser einfängt als jedes andere filmische Mittel.
Zum dritten Event wird es autobiografisch – nicht (nur) für das Verbotene Lichtspiel: Conrad Rooks hat 1966 in CHAPPAQUA in wilden Farben und Schwarzweiß Indien und die USA, Cowboyhüte und Hipsterkleidung vermischenden Montagen die Geschichte seines Entzugs nachgezeichnet und dabei eine ganze Horde berühmter Künstler seiner Zeit für Cameos gewinnen können.
Was, passiert, wenn psychische Wunden sichtbar werden, erzählt uns (Aktenzeichen IV) David Cronenberg in seinem Schmuckstück von 1979, THE BROOD. Ein Psychotherapeut, der die Hervorbringung knolliger Tumore als Durchbruch feiert, und eine Frau, die zur Bienenkönigin mutiert, sollten die Notwendigkeit einer Reha auch für die hartgesottensten unserer Zuschauer nachvollziehbar machen.
Werner Herzog ist einer dieser Regisseure, der seiner „jungen wilden“ Phase nie so recht entwachsen ist – obwohl seine frühen Filme wie sein zweiter Langfilm AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN von 1970 noch sehr viel kontroverser diskutiert wurden. Die ausschließlich mit Kleinwüchsigen besetzte Parabel auf den Ausbruch von Anarchie in Abwesenheit der künstlich erhaltenen sozialen Hierarchien endete für Herzog selbst in der Reha: Falls alle die Dreharbeiten überlebten, versprach er, am Drehort Lanzarote in einen Kaktus zu springen, und hielt dieses Versprechen wie üblich auch ein.
Keiner unserer Filme in diesem Jahr hat so viele wunderbare Titel wie CORRUPTION aka THE LASER KILLER aka DIE BESTIE MIT DEM SKALPELL aus dem Jahre 1968. Peter Cushing spielt in dem britischen Horrorfilm einen Arzt, der jedes Verbrechen dankbar in Kauf nimmt, um nur das verbrannte Gesicht seiner Verlobten wiederherstellen zu können.
Zwei Reha-bedürftige Regisseure, zwei Killer, die für eine Reha sammeln, zwei mysteriöse Fälle, in denen die Art des Reha-Rezeptes erst noch ermittelt werden muss: eine echte Reha für Michael-Bay-geplagte Cinephile beim X. Verbotenen Lichtspiel.

Di 10. Januar 2017 | 20:30 | Schaubude | CHOCOLATE

„Pay me like you owe me, don’t act like you forgot“, um Rihanna zu zitieren. Wer schuldet, muss zahlen, wer nicht zahlt, bluten. Regel, Genre, Gangster. Deine Mutter, Hirntumor, keine Kohle für die Chemo, Dein Vater, Yakuza, abwesend, hat dir ein Notizbuch hinterlassen mit noch ausstehenden Zahlungen und Namen der Schuldner, alles kriminelle Schlägertypen, logisch. Du, Autistin, und deine besondere Fähigkeit lautet Kampfsport. Muay Thai und Kung Fu statt Krankenkasse: Unsanfte Tritte und Schläge, verteilt in der Unterwelt Bangkoks, füllen die Therapiekasse, weitere Krankenhausbetten und ein paar Särge. Natürlich ruft das Abkassieren in den niederen Rängen die Oberen auf den Plan. So eskaliert, was als notwendige Therapiebegleitung gedacht gewesen ist, zügig zu einem Schlachtfest. Unablässig und in stetiger Steigerung prügelt sich JeeJa Yanin durch den Film und Heerscharen männlicher Antagonisten. Dabei raubt einem die Intensität und Direktheit der Action bisweilen den Atem. Regisseur und Choreograf Prachya Pinkaew hat zuvor mit ONG-BAK bereits Tony Yaa zum Star gemacht. Ähnlich wie ONG-BAK setzt CHOCOLATE auf handgemachte Stunts und Action und verzichtet dabei vollständig auf Special Effects. Das kann schnell blutig und schmerzhaft enden und so gilt: „Bitch better have my money.“
CHOCOLATE, Thailand 2008, Regie: Prachya Pinkaew, Darsteller: JeeJa Yanin, Hiroshi Abe, Pongpat Wachirabunjong

Mi 18. Januar 2017 | 20:30 | Ben Briggs | MANIAC COP

In William Lustigs und Larry Cohens MANIAC COP macht ein Polizist sehr kurzen Prozess nicht nur mit Übeltätern, sondern mit allen Bürgern. 1988 galt New York noch als extrem unsicheres Pflaster. Noch war Rudolph Giulianis (mittlerweile vom Nine-Eleven-Held als New Yorker Bürgermeister zum geifernden Donald-Trump-Unterstützer heruntergekommen) Zero-Tolerance-Politik nicht in Sicht. Mit der Lust des Soziologen an der Gegenwart greifen Lustig und Cohen die Angst auf und schauen fast prophetisch in die Zukunft. Eine mit viel Macht, Gewalt und Rücksichtslosigkeit ausgestattete Polizei stärkt nicht jedermanns Sicherheitsgefühl.
Autor Larry Cohen gehört zu den großen, eher linken Genre-Regisseuren und -Autoren, die grimmig, böse, satirisch und mit einem stets wachen gesellschaftlichen Bewusstsein zu Werke gehen. Cohen kann beides, Country und Western, soll heißen, er macht straighte Horrorfilme oder Thriller und unterlegt ihnen einen gesellschaftskritischen Subtext, der nicht gegen die bizarren Storys arbeitet. Wer würde schon außer ihm einen derart rührenden Film wie den Monster-Baby-Schocker IT’S ALIVE hinbekommen? Niemand.
Der Filmdienst lobt augenzwinkernd: „Brutaler, spannungslos inszenierter Thriller, der auf eine Reihe von Schockeffekten setzt und die Klischees von Horror- und Polizeifilm aneinanderreiht.“
MANIAC COP, USA 1988, Regie: William Lustig, Buch: Larry Cohen, Darsteller: Tom Atkins, Bruce Campbell, Laurene Landon, Robert Z’Dar, Richard Roundtree, William Smith

Do 19. Januar 2017 | 20:30 | Luna Club | CORRUPTION

„CORRUPTION IS NOT A WOMAN’S PICTURE! THEREFORE: NO WOMAN WILL BE ADMITTED ALONE TO SEE THIS SUPER-SHOCKFILM“, schreit es vom Filmplakat des in Deutschland unter dem Titel „Die Bestie mit dem Skalpell“ vertriebenen Hammerstreifens. Dies verkennt natürlich die Abgebrühtheit und Verrohtheit der Kieler Damenwelt auf unentschuldbare Weise, ist vielleicht aber auch nur eine Einladung, zu zweit einen der besseren Kinoabende 2017 zu erleben. Der als Victor Frankenstein in zahllosen britischen Hammer Studio Produktionen Legende gewordene Peter Cushing gerät als begnadeter Chirurg Sir John Rowan an das deutlich jüngeres Fotomodel Lynn (Sue Lloyd). Als es auf einer Party zwischen Sir Rowan und einem aufdringlichen Fotografen zu einem Handgemenge kommt, bei dem Lynns hübsches Antlitz in Mitleidenschaft gerät, gilt es, eine revolutionäre Behandlungsmethode zu ersinnen. Dafür, dass sich ausgerechnet Haut aus den Gesichtern ermordeter Prostituierter als praktikabelste Variante erweist, kann der Arme ebenso wenig wie für die rasche Degeneration der entnommenen Partien, die stets baldigen Nachschub notwendig macht. Wäre diese Mischung aus Jack the Ripper, Mad Scientist und Phantom of the Opera nicht schon Grund genug, glücklich zu sein, geht einem vor lauter Freude über die Schauwerte dieser liebevoll digital restaurierten Genre-Perle die Hose auf. Robert Hartford-Davis, erwiesenermaßen Experte für das Londoner Nachtleben, liefert ein stimmungsvolles, knallbuntes Bild der Swinging Sixties und packt dann noch eine Lasersequenz drauf, die Goldfinger blass aussehen lässt.
CORRUPTION aka „Laser Killer“ aka „Die Bestie mit dem Skalpell“, UK 1968, Regie: Robert Hartford-Davis, Darsteller: Peter Cushing, Sue Lloyd

Di 24. Januar 2017 | 20:30 | Hansafilmpalast | CHAPPAQUA

Der 1934 im Alter von 0 Jahren in Kansas City geborene Conrad Rooks war ein ungewöhnlich unproduktiver Filmemacher. In 77 Lebensjahren brachte er gerade einmal zwei Filme zustande, die immerhin beide veritable Skandale auslösten. Der zweite, SIDDHARTA, bescherte Bollywood-Schauspielerin Simi Garewal wegen einer kurzen Nacktszene eine handfeste Karriere-Katastrophe, der erste heißt CHAPPAQUA.
Schön ist am überschaubaren Werk von Conrad Rooks, dass man sich mit Pauschalisierungen ausnahmsweise kein bisschen zurückhalten muss. Sätze wie „Neben Hermann-Hesse-Verfilmungen beschäftigte sich der Regisseur ausschließlich mit autobiographisch gefärbten Experimentalfilmen über seine Zeit in der Entzugsklinik“ sind vollkommen korrekt. Noch schöner ist, dass Rooks ausschließlich wunderbare Filme gemacht hat, und sein mit Abstand bester Film trägt den Namen CHAPPAQUA.
Rooks ist neben seinem Faible für den indischen Kulturraum auch Beatnik gewesen – eine übliche Kombination, wenn man an Jack Kerouac denkt, der im Gegensatz zu anderen Ikonen der Zeit wie Ornette Coleman, Moondog, William S. Burroughs und Ravi Shankar nicht in Rooks’ Film aufgetreten ist. Der Gewinner des großen Jurypreises von Venedig 1966 läuft jetzt 50 Jahre später im 10. Verbotenen Lichtspiel und hat den Titel CHAPPAQUA.
CHAPPAQUA, USA 1966, Regie & Buch: Conrad Rooks; Darsteller: Conrad Rooks, William S. Burroughs, Jean-Louis Barrault

Do 26. Januar 2017 | 20:30 | JuMe | AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN

Die Insassen einer Erziehungsanstalt paktieren, um in einer Welt, die nur von Kleinwüchsigen bevölkert ist, den Aufseher ihrer Institution zu belagern. In einer planlosen Revolution wird alles, was der marodierenden Horde unter die Augen kommt, demoliert, ausgelacht und mit Geflügel beworfen. Werner Herzog hat, ganz im Gegensatz zu Zwergen, groß angefangen. Wurde sein Debütfilm LEBENSZEICHEN vom Deutschen Filmpreis noch mit dem Filmband in Silber geadelt, wollte sich an dem wirren Stoff, der AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN ist, kein einziger Verleih die Finger verbrennen. Es ist eine Abhandlung über Aus- und Umbruchsprozesse, die den Konservativen zu verstörend und den Liberalen in ihren düsteren Deutungsmöglichkeiten nicht geheuer war, die von Tierschützern als entsetzlich, ja sogar von der sonst so nachsichtigen Kirche als ketzerisch beschimpft wurde und so manchen Zuschauer schließlich dazu bewegte, seiner Meinung mittels Morddrohung Ausdruck zu verleihen. Dieser surreale Trip in die tiefschwarze Vulkanlandschaft Lanzarotes ist komisch, entwaffnend, bisweilen kaum zu ertragen und gehört auch fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung noch zum Irritierendsten, was der deutsche Film zu bieten hat.
AUCH ZWERGE HABEN KLEIN ANGEFANGEN, BRD 1970, Regie: Werner Herzog; Buch: Werner Herzog; Darsteller: Helmut Döring, Gerd Gickel, Paul Glauer, Pepi Hermine, Erna Gschwendtner u.a.

Do 2. Februar 2017 | 20:30 | Café Aufschlag | THE BROOD

Sigmund Freud meets Science Fiction meets David Cronenberg in THE BROOD. Psychotherapeut Hal Raglan (Oliver Reed) verfolgt in seinem Institut „Somafree“ eine ausgefallene Rehabilitationsmethode für psychisch Kranke: Durch körperliche Manifestation ihrer unterdrückten Emotionen sollen die Patienten sich ihrer Psychosen entledigen. Oha. Im Falle der im Kindesalter misshandelten jungen Mutter Nola (Samantha Eggar) geht das gründlich schief. Ihre Traumata machen sich selbstständig und bedrohen nicht nur ihre Tochter Candice und den scheidungswilligen Ehemann Frank (Art Hindle), sondern die ganze Stadt.
Mit Regisseur David Cronenberg haben wir einen alten Bekannten des Verbotenen Lichtspiels wieder im Programm. Nach SHIVERS zeigen wir mit THE BROOD seinen dritten Horrorfilm und damit die Essenz seiner frühen Filme. In THE BROOD vereinen sich die Themen Unterbewusstsein, Trieb und Körperlichkeit zu Cronenbergs unverwechselbarem, intelligenten und schaurig-faszinierenden Body-Horror. THE BROOD markiert, nebenbei bemerkt, auch den Beginn der ungebrochenen Zusammenarbeit mit Komponist Howard Shore, der mit dem Soundtrack zu THE BROOD seine Karriere begann.
Wir zeigen THE BROOD in der ungekürzten Fassung. Schleck.
THE BROOD, CAN 1979, Regie & Buch: David Cronenberg, Darsteller: Oliver Reed, Samantha Eggar, Art Hindle
Die Spielorte (Locations) in Kiel:
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