63. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2013
Angekommen im Alltäglichen einer Romanze?
„Before Midnight“ (Richard Linklater, USA/GR 2013)
Als Richard Linklater Mitte der 90er Jahre die jungen Schauspieler Julie Delpy und Ethan Hawke einen Kinofilm lang während eines Spaziergangs durch das nächtliche Wien aufeinander einreden ließ („Before Sunrise“, USA 1995), ahnte er sicher nicht, dass sein Low-Budget-Projekt zum modernen Klassiker und seine Protagonisten Jesse und Céline zu einem ikonischen Filmpaar werden würden. Eine Kino-Generation verliebte sich in Julie/Céline respektive Ethan/Jesse und ging mit Wehmut aus dem Kino, denn ein Wiedersehen der beiden offensichtlich füreinander Bestimmten war ungewiss. Neun Jahre später treffen sich die beiden in Paris wieder, nicht ganz zufällig, denn Jesse hat ihre Wiener Begegnung zum Gegenstand eines erfolgreichen Romans gemacht, und Céline besucht den inzwischen verheirateten, jungen Vater auf seiner Lesung. Wieder schickt Linklater die beiden auf einen langen „Walk and Talk“, lässt sie ihre Liebe zueinander erneut herbeireden und gönnt seinen Figuren diesmal eine gemeinsame Zukunft: Jesse bleibt in Paris.
Bereits beim ersten Film haben Delpy und Hawke zum Dialog der Figuren beigetragen, das Drehbuch zum zweiten Film („Before Sunset“, 2004) entstand dann auch als Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und seine beiden Hauptdarstellern. Kein überraschender Prozess, forderte Linklater doch bereits in Wien von seinen Darstellern, nicht nur Figuren zu spielen, sondern auch ihre eigenen Persönlichkeiten durchscheinen zu lassen. Für das zweite Sequel „Before Midnight“ nahmen Linklater, Delpy und Hawke wiederum neun Jahre nach dem letzten Film den Faden wieder auf und schrieben die Geschichte von Jesse und Céline fort. Im Sommerurlaub auf Griechenland (dem Ursprungsland der Dialektik) haben die beiden einen Tag allein für sich, ohne die Zwillingstöchter und ohne Jesses Sohn aus erster Ehe, den Jesse in der Eingangsszene am Flughafen nach den Sommerferien zu seiner Mutter zurückfliegen lässt. Jesse hat sich als Autor etabliert, Céline arbeitet nach wie vor als Umweltaktivistin, aber ist unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation. Jesse bedauert, nicht mehr Zeit in seinen Sohn investieren zu können, der bei seiner Ex-Frau in Chicago lebt. Auf dem Spaziergang zum Hotelzimmer, das ihnen Freunde für eine Nacht ohne Kinder reserviert haben, herrscht noch eitel Sonnenschein, doch im Hotelzimmer, man hat endlich Zeit füreinander, werden die unterschiedlichen Vorstellungen für die kommenden Lebensjahre der beiden Forty-Somethings ausformuliert und prallen mit zunehmender Härte aufeinander.
(Ehe-)Krise in Griechenland: Jesse (Ethan Hawke) und Céline (Julie Delpy) (Foto: Despina Spyrou)
Der verbale Diskurs zwischen Jesse und Céline ersetzt auch diesmal praktisch jegliches Handlungselement, das „Walking & Talking“ wird lediglich durch ein „Sitting & Talking“ unterbrochen und die erzählte Zeit erstreckt sich wieder lediglich über einen Tag. Die dramaturgischen Prinzipien haben sich ebenso wenig geändert wie die Redelust und das Redevermögen der Protagonisten. Selbstsicherer scheinen sie geworden zu sein, definitiver in ihren Schlussfolgerungen, aber auch unbedachter in der Wirkung ihrer Worte aufeinander. Die Leichtigkeit der ersten und zweiten Begegnung sind verflogen, der Alltag, die Sorge um die Zukunft der Kinder und die Furcht vor dem eigenen Stillstand brechen sich Bahn. Der alte Zauber wirkt nicht mehr. Tatsächlich retten gerade die Szenen, in denen die scheinbar unlösbaren Konflikte zu Tage treten, den Film vor einer unverzeihlichen Seichtheit. Jesse und Céline haben sich ebenso wenig verändert wie Linklaters Zelebrieren des verbalen Diskurses als zentrale Methodik des menschlichen Miteinander. Was sich verändert hat, ist ihre Lebenssituation. Standen in Wien alle Lebenswege offen, waren in Paris schon Entscheidungen getroffen, die zwar nur schwer, aber noch zu revidieren waren. Nun mit Anfang Vierzig in Griechenland verzweifeln die beiden an den Tatsachen des Lebens, Kinder, berufliche Unsicherheit, die Unzulänglichkeiten des anderen. Céline und Jesse sind endgültig erwachsen geworden.
„Before Midnight“ stellt die entscheidende Frage, ob sich Liebe und ihre Manifestationen, so individuell, stark und faszinierend sie auch sein mögen, nicht doch im täglichen Miteinander abnutzt? Die Antwort lässt Linklater offen und spricht stattdessen vielberedet die Empfehlung aus, beim Gang durch das Leben den Diskurs am Laufen zu halten. Delpy und Hawke jedenfalls macht es offensichtlich immer noch Spaß, Jesse und Céline weiter spazieren zu lassen. Und dem geneigten Zuschauer wird es erneut Vergnügen bereiten, ihnen zuzuhören. (dakro)
„Before Midnight“, USA/GR 2013, 108 Min., DCP. Regie: Richard Linklater, Buch: Richard Linklater, Julie Delpy, Ethan Hawke, Kamera: Christos Voudouris, Schnitt: Sandra Adair, Darsteller: Ethan Hawke, Julie Delpy u.a.