Absurd komisch
„Heino Jaeger – look before you kuck“ (Gerd Kroske, D 2012)
Heino Jaeger ist heute ein Geheimtipp und war auch zu Lebzeiten (1938-1997) nicht vielen wirklich bekannt. Das könnte sich jetzt allmählich ändern. Gerd Kroske hat den sehenswerten Dokumentarfilm „Heino Jaeger – look before you kuck“ über ihn gemacht und wie man hört, plant Lars Jessen einen Spielfilm über ihn, nach einem Drehbuch von Rocko Schamoni mit Olli Dittrich in der Hauptrolle.
Wer war also Heino Jaeger? Er war ein ungewöhnlicher Maler, und so manchem wird die Stimme aus der Radiozeit in den 70er Jahren erinnerlich sein, als man regelmäßig überregional „Fragen Sie Dr. Jaeger“ hören konnte. War er nun auch Komiker, Kabarettist, Satiriker? Jedenfalls machte Jaeger in seinen doppelbödigen Hörfunk-Sketchen Menschen nach, Kleinbürger, die er in Sprachduktus und Gesprächsthemen bis ins absurd Komische überzeichnete und damit in ihrer Lächerlichkeit entlarvte. Da ist die genervte Ehefrau, die bei Dr. Jaeger anruft und sich Rat holen will, wie sie sich ihren Ehemann gegenüber verhalten soll, der als pensionierter Zollbeamter nun laufend Passkontrollen in der eigenen Wohnung durchführt, oder der besorgte Vater eines pyromanischen Sohnes, dem Dr. Jaeger erklärt, dass das eine ganz normale Pubertätsstörung sei, die bis in die Wechseljahre anhalten könne, und er ihm einen Experimentierkasten mit Anleitung kaufen solle. Ein gutes Jahrzehnt lang war Jaeger so in seiner Rolle als Karikatur des vermeintlich verständnisvollen Radio-Ratgeber-Onkels einer (Hörfunk-) Öffentlichkeit bekannt. Dann verschwand er wieder von der Bildfläche. Nur wenige Eingeweihte wussten Näheres über den mehr oder weniger Verschollenen.
Gerd Kroske zeichnet nun in seinem Dokumentarfilm das Porträt eines Außenseiters, der nicht im Zeitstrom der so genannten 68er mitschwamm, der aus seinen traumatischen Erlebnissen nicht die Konsequenz zog, mit der Vergangenheit zu brechen, sondern sich eher mit ihr auseinandersetzte als erkundender Erbe. Mit Hilfe seiner Bilder, von Tondokumenten, raren Fotos und Filmaufnahmen entdecken wir Jaegers Kosmos. Seine Affinität zum Militärischen, die er mit hintersinniger Ironie ausstellt, der aber auch auf eine merkwürdige Art zu frönen scheint. Seine Vorliebe für Abbruchviertel, verspätete Ruinenfelder, morbide „Schutthalden“, Mannövergelände. Gemälde und Zeichnungen zeigen eine Parallelwelt, ausgestattet mit katalogähnlichen Seiten voller Sammlungen von Obskurem: Militaria, Feuerlöscher, Pseudoansichtskarten oder oft groteske Fabelwesen, Menschen mit Vogelköpfen, Fische, denen Beine und Füße aus dem Körper wachsen, Frauen mit nackten Brüsten wie Granaten. Viel Provokatives und offen verdreht Obszönes. Wo Absurdität einmal nicht ins Dada-Ähnliche mündet, sind es fast kalte Szenen, scheinbar normal, aber voll bedrohlicher Einsamkeit.
Kroske hat die wenigen Freunde und früheren Verehrer von Jaeger aufgespürt und lässt sie von ihren Erlebnissen mit dieser bemerkenswerten „Type“ erzählen. Der Vertrauteste war Joska Pintschovius. Er erinnert z.B. Jaegers Begeisterung für Ansagen im so genannten Drahtfunk in der NS-Zeit, in denen die Ankunft der alliierten „Bomber“ gemeldet wurde, ihre Flugrichtung und ihr Abstand zu den voraussichtlichen Zielorten. Oder schwärmt von ihrer gemeinsamen Begeisterung für richtig schikanöse Grenzkontrollen von DDR-Vopos, natürlich von den beiden listig provoziert, anlässlich von Transitfahrten mit dem Auto nach Berlin: „Man war ja schon begnadet, in so einer verrückten Zeit zu leben, so musste man das auch total auskosten.“
Aufschlussreich auch die Interpretationen des Journalisten Christian Meurer, der sich selbst als „Forscher in Verschollenheiten aller Art“ bezeichnet, zu denen für ihn Jaeger ganz zentral gehörte. Er weist nach, dass die Bilderwelt, die Jäger in seinen inventarisierenden Bildern darstellt, existiert hat, aber schon in den 60er Jahren aus dem allgemeinen Bewusstsein völlig verschwunden sei. Auch die „Reliktmenschen“, die Jaeger abbildete, kannte man früher aus seiner näheren Umgebung: Verkäufer, kleine Handwerker, Beamte und andere. Sie seien verschlossene Mentalitäten, in sich Gekehrte, zu tiefst Enttäuschte aus alten Lebenswelten, die sich im Strukturwandel der BRD in den 60er und 70er Jahren „auflösten“. Sie passten nicht in die neue BRD hinein. Diesen verdeckten Kulturkampf bilde Jaeger in seinen Figuren ab.
Auch Jaeger hat wohl schließlich selbst vor der neuen Welt kapituliert, gab sich immer mehr seiner Alkoholssucht hin, wurde mit Brandstiftungen in Verbindung gebracht, landete in verschiedenen psychiatrischen Einrichtungen, sprach davon, dass die Menschheit von Außerirdischen bedroht sei, fand immer weniger Kontakt zur Außenwelt und verstummte in seinen letzten Jahren praktisch ganz.
Gerd Kroskes Film stellt posthum nicht nur eine beachtliche Entdeckung und Würdigung eines ungewöhnlichen Menschen, ja verstörenden Charakters dar, sondern schafft es zugleich mit seinem erhellenden Reigen von Materialien und Zeitzeugen, einen anderen Blick auf die ausgehende Nachkriegszeit zu werfen. Er findet in Jaeger einen Provokateur, dessen Protest sich (anders als bei der damaligen Studentengeneration) nicht an gesellschafts- und weltpolitischen Reizen aufreibt. Jaeger sublimiert vielmehr seine Traumata in sein Schaffen und diagnostiziert so unterschwellig zugleich die deutschen Verhältnisse. (Helmut Schulzeck)
„Heino Jaeger – look before you kuck“, Deutschland 2012, 120 Min., Farbe, Buch und Regie: Gerd Kroske, Kamera: Susanne Schüle, Schnitt: Karin Gerda Schöning, Musik: Klaus Janek, Filmförderungen: Bundesbeauftragter für Kultur und Medien, Deutscher FilmFörderFonds, Filmwerkstatt Kiel der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH), Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg, Kulturelle Filmförderung Mecklenburg-Vorpommern. Infos: www.heino-jaeger-film.de
Am 3. November 2012 wurde Gerd Kroske beim 55. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm für „Heino Jaeger – look before you kuck“ der Hauptpreis GOLDENE TAUBE für einen herausragenden deutschen Dokumentarfilm verliehen.