Nordische Filmtage Lübeck 2003

Nicht nur beobachten …

(Kitchen Stories, Salmer fra kjøkkenet, N 2003, 95 Min., 35 mm, Bent Hamer)

Das kammerspielartige Setting in Bent Hamers „Kitchen Stories“ ist grotesk, ein Beobachter mit Notizblock sitzt auf einem erhöhten Stuhl in der Küchenecke und zeichnet jede Bewegung des Küchenbewohners auf. Ziel: Ein schwedischer Küchenhersteller ist auf der Suche nach der optimierten Küche und lässt Feldstudien in der norwegischen Einöde erheben. So gelangt der Schwede Folke in die Küche des verschrobenen Bauern Karl. Die Versuchsanordnung verbietet, dass beide miteinander sprechen, denn der Beobachter soll den Beobachteten nicht beeinflussen. Doch dieses Experiment verselbstständigt sich, die beiden freunden sich an und Folke vergisst immer mehr die Beobachtung. Die eigentliche Beobachtung ist nämlich das Kennenlernen. „Wie kann man nur glauben, dass man Menschen nur durch bloßes Beobachten verstehen kann?“ fragt Karl, ein Schlüsselsatz in Hamers Küchenwitz auf die alte Frage nach der Unmöglichkeit „unvoreingenommen“ zu beobachten – und auf das Verhältnis zwischen Norwegern und Schweden, das amüsant karikiert wird. Bauernschläue gegen Bürokratenhabit – am Ende entsteht eine fragile Freundschaft, nicht ohne Tragik.

Humorvoll, anspielungsreich und liebevoll zart schildert Hamer die Annäherung der beiden kauzigen Typen. Und vergnüglich. Die Situation in der Küche ist immer wieder so „schräg“, nicht nur von der Kameraperspektive her, dass sich beim Zuschauer versonnenes Schmunzeln und schallende Lacher abwechseln. Und doch hängt eine unbestimmte Bedrohung über der Szenerie. Die Technokratie des manischen Beobachtens, nicht zuletzt Reflex des Kamerabeobachters auf sein eigenes Tun, die versucht Menschliches und Allzumenschliches auf Aufzeichenbares zu reduzieren, mutet zwar grotesk an, spiegelt aber auch die Verwerfungen, die der Wissenschaftsoptimismus im 20. Jahrhundert hervorgerufen hat. Die Freundschaft der beiden Protagonisten ist letztlich dem technokratischen Zugriff der Beobachtung ausgeliefert, die menschliche Regung, die „unbeschreiblich“ in den Seelen sich ereignet, in den kleinen, sanften Gesten, hält nicht stand. Insofern ist Hamers Groteske auch ein filmisches Plädoyer für das nicht Beobachtbare, dennoch Filmbare, für etwas jenseits der Bilder. Auf den Nordischen Filmtagen erhielt „Kitchen Stories“ den Baltischen Filmpreis.

(jm)

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