4. Flensburger Kurzfilmtage 2003

Schnitte in die Reality – Der Kurzfilm als Filmkrimi

Einige Eindrücke aus dem Wettbewerbsprogramm III der 4. Flensburger Kurzfilmtage 2003

„Wie im Krimi“ war der dritte Teil des Wettbewerbs bei den 4. Flensburger Kurzfilmtagen überschrieben – und das durfte man als Motto nicht nur auf die Inhalte der hier versammelten Kurzfilme beziehen, sondern auch auf ihre Form. Die hier gezeigten Filme referierten in ihrer formalen Gestaltung stets auf das, was den Kurzfilm als Medium ausmacht: Schnelligkeit, Skizzenhaftigkeit und das Erzählen in den Schnitten der Snapshots in die „Reality“.

Die Welt liegt schief, Realität und Fiktion bilden eine Melange, wie im Krimi, wo man nicht weiß, wer der Täter ist und wenn, ob er nicht doch auch ein Opfer ist. Oder sie? „Phil & Beth“ von Marcus C. Hambsch (D 2003, 35 mm, 15 Min.) entwirft ein Eheszenario gegenseitiger Belauerung, das er mit surreal anmutenden digitalen Effekten filmbildnerisch spiegelt. Unter aufgebockten Straßen und Bahnlinien haben sich Phil und Beth ein Pseudo-Häuschenidyll geschaffen, leben ein ganz normales Eheleben. Nur wo geht Phil hin, wenn er nachts angerufen wird und arbeiten muss? Die Scheinwelten ferner Gewalt aus dem Fernseher, auf den Beth nächtens starrt, deuten es an. Phil hat keinen ganz normalen Job. Er ist Scharfrichter, er richtet hin. Da greift Beth zum Messer, präventiv sozusagen, bevor er ihren Kopf fällt. Aber will das der liebevolle Kleingärtner überhaupt, der seinen Broterwerb seiner Frau verheimlicht? Hambsch erzählt dies Minidrama psychologisch dicht und ganz ohne Worte. Keine Dialoge, nur Bilder. Und dann ein Schnitt, der das Kleinbürgeridyll zerteilt wie das Beil des Scharfrichters …

Um die Bilder im Kopf, die sich so unentwirrbar aus Bestandteilen der Fantasie wie der Wirklichkeit zusammensetzen, geht es es auch in Juliane Engelmanns „Kriegsreportage“ (D 2002, BetaSP, 11 Min.). Nora ist Fotografiestudentin und braucht „starke Bilder“, am besten welche aus dem Kriegsgebiet. Mit ihrem Freund streift sie in Ermangelung heimischer Konfliktherde durch Bunkerreste im Wald. Wir ahnen es schon, der Krieg ist nicht außen, sondern in den beiden, da schwelt er – und bricht aus, gewalttätig, verstörend, beängstigend. Kann man den Krieg im Innern, verschüttete Konflikte fotografieren? Engelmanns Kamera, die in ihren Zuckungen und Atmosphärenzeichnungen an Pseudo-Dokus wie „Blair Witch Project“ erinnert, kann. Krieg mitten im Frieden, Krimi eben.

Mehr ironisch als beängstigend, oft galgenhumoresk witzig blickt Nana Neul durch die Hecke des „Gemeinen Ligusters“ (D 2002, 12 Min.). Zwischen den Zweigen greift sich ein Sexualtäter ein kleines Mädchen, ein Gewaltakt, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, aus der des Täters, des Opfers und der voyeuristischen Beobachter, die wir selbst im Krimi-Kino-Sessel sind. „Jetzt ist die Hecke weg und man kann alles sehen“, sagt am Ende der Gärtner mit der Heckenschere. Der Mörder ist bekanntlich immer der Gärtner – oder hier nicht? Ein vielschichtiges Spiel mit Standpunkten und Blickrichtungen, ein Krimi, der den Krimi auf die Schippe nimmt, als Reality.

Und ist nicht doch alles nur ein böser (Alp-) Traum? In schlanken und schwarzweißen drei Minuten wird eine Frau in Sebastian Lenges den Horrorfaktor des Krimis persiflierenden „Schneeweiß“ (D 2003, DigiBeta, 3 Min.) von einem Schneemann lebendig begraben. Damit sie am Pointenschluss als Schneefrau neben ihm steht. So ein schwarzweißhumoriges Bonmot in einem Kürzestfilm zu erzählen, bedarf rascher Schnitte und noch mehr des Skizzenhaften, das das Genre so kurzweilig macht. Ein Meisterwerkchen en miniature.

15 Minuten sind dagegen schon lang genug, dass man einen Kurzfilm überfrachten kann. So Scott Kirby in „Lock Picking“ (D 2002, 35 mm, 15 Min.). Das vielschichtige Werk inszeniert die Freundschaft zwischen einem erblindenden Entfesselungskünstler und seiner „Assistentin“. Symbole sind hier der Schlüssel zu einer (Bild-) Entfesselung, die den Zuschauer nicht immer fesselt. Dennoch spielt der Film elegant mit den Genresplittern Action und Stunt, zeigt wie Film ein Fantasiegenerierungsprodukt ist, das irgendwo zwischen Hängen an einer Häuserwand und dem „Geheimnis des Kuchendufts“ Realität verbiegt, um sie kommentieren zu können. Zuviele Ideen über das Leben als Filmbild jedoch werden hier komprimiert, ein Krimi ist’s trotzdem. Und von der Jury lobend erwähnt wurde er auch.

Boris Schaarschmidts Film „Nassrasur“ (D 2003, BetaSP, 10 Min.) konnte sich über gleich zwei Preise freuen, er gewann sowohl den Preis von Kodak und Cinegate für seine Kameraarbeit als auch den Publikumspreis. Verdientermaßen, denn er spielt ausgesprochen intelligent mit den Versatzstücken des Krimis à la Edgar-Wallace-Verfilmungen und weiß zudem, wie man den Spieß umdreht. Ein Frisör erhält nächtlichen Besuch in seinem Salon. Ein Täter braucht tarnende Haarveränderung und erzwingt sie mit gefuchteltem Schießeisen. Nur dass dann auch noch eine Frau dringend eine Abendfrisur benötigt. Wie geht ein so gestresster Frisör mit solcher heiklen Situation um? Er lässt sein Rasiermesser an zweierlei Kehlen Tacheles reden, bis Blut fließt …

„Wie im Krimi“ erwies sich in diesem Teil des Wettbewerbs als Metapher für den Kurzfilm als Medium. Denn der zielt auf den Überraschungsmoment, die unerwartete Wendung, das Unrealistische, das mitten im Realen lauert. Einen Krimi zu erzählen könnte somit fast auch als empfehlende Steilvorlage für Kurzfilmneulinge gelten. Denn ein Krimi hat alles, was eine Kurzgeschichte braucht: Spannung, Knalleffekte – und den Schnitt in die Reality, die jeder Film als Kunstwerk immer auch ist. (jm)

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