Plädoyer für den Himmel nicht auf Erden

Michael Carstens‘ Filmessay „Don’t imagine“ hat Premiere.

„Imagine, there’s no heaven, above us only sky“, sang John Lennon in den freiheitsbewegten 60ern. Der Himmel sollte auf Erden errichtet werden, über den ins Diesseits befreiten Menschen „nur noch die Wolken und manchmal etwas Blau“, der Himmel nicht mehr Ort jenseitiger Hoffnungen. Knapp 40 Jahre später setzt der Autor Arnold Stadler in einem hochkomplexen Essay ein trotziges „Don’t …“ vor Lennons Imaginationsappell. Denn der Himmel auf Erden ist für Stadler, den Melancholiker mit scharfem Blick, eine „Dreckwelt“. Wie die in ihrer Aufgeräumtheit aussieht, zeigt eine der Szenen von Michael Carstens‘ filmischer Auseinandersetzung mit Stadlers Plädoyer für die Rückgewinnung des Himmlischen am Himmel: Vor der wohlumzäunten Neubausiedlung mit Vorgartenparadieschen rezitiert Schauspielerin Nina Hecklau, was Stadler und Carstens, beide zusammen schrieben das Drehbuch, von solchen Eigenheimhimmelbettchen halten: Bloß noch „Grüne-Tonnen-Stolz und Geräteschuppen-im-Landhausstil-Ehrgeiz“ entwickelten die formschönen Kleinfamilien, Kinder der Revoluzzer von einst. Von den himmlischen Hoffnungen auf wirkliche Befreiung keine Spur mehr. Eine „Dreckwelt“ eben, eine Obi-Romantik, ein Grab aus Ikea-Fantasien vom „Wohnst du noch oder lebst du schon?“, „Glaube, Hoffnung und Lüge … in the middle of nowhere zur happy hour … Meine Mitbestien wohnen auf Filetstücken mit integriertem Carport.“

Fast so eindeutig wie solche Worte Stadlerscher Abrechnung sind hier Carstens‘ Bilder. Anderswo, dort wo Stadler den unverholenen Hass auf die Kleinbürgerverräter an der Fähigkeit utopisch zu träumen mit einem ergreifenden Lament über das „Einmal auf der Welt, und dann so“, über die unausweichliche Unmöglichkeit des daraus Fliehens tauscht, werden auch Carstens‘ Bildideen poetischer – und hermetischer. Es wird viel weggerannt, vor allem in den Super-8-Schwarzweiß-Sequenzen, die Carstens aus seinem Kurzfilmprojekt „Instant Devil“ ausgekoppelt hat. Nachdem Carstens „Instant Devil“ fertig geschnitten hatte, blieb „ein großes Unbehagen“. Ein Filmessay über Fluchten sollte es werden, die Szenen aber blieben emotional kalt, „ihnen fehlte die Seele“. Carstens legte das Projekt auf Eis – und litt daran: „‚Devil‘ war wie ein Fluch.“

Dann traf er im Herbst 2002 auf Arnold Stadler und dessen Text „Don’t imagine“. Beide fazinierten ihn, schienen direkt etwas mit ihm und dem gescheiterten Filmprojekt zu tun zu haben. Carstens griff wieder zur Kamera, drehte nach, weit mehr Material als er für „Instant Devil“ versammelt hatte, um mit Stadler das in den Bildern zu finden, von dessen Verlust der Filmessay wie seine literarische Vorlage handeln: das Himmlische am Himmel, der Ort, zu dem man als Sterblicher nicht gelangen kann und der deshalb Potential für utopische Protestation gegen den Protestantismus der ultimativ irdischen Traumerfüllung bietet.

Kongenial im Himmel: Arnold Stadler (links) und Michael Carstens (Foto: Franziska Bossy)

Darstellerin Susanne Kopp spiegelt ihr Gesicht in einem dreiteiligen Spiegel, der wie ein Altartriptychon inszeniert ist, eine „Dreifaltigkeit“ zeigt, das Göttliche im Menschenantlitz, das doch wie in Verdammnis auf Erden beschränkt bleibt. Fertig schminken muss frau sich da nicht, vergeblich ohnehin solche Pomade. Eindringlich sind solche Szenen, für die sich der Film viel Zeit lässt. Bedrückend auch die Hausfassaden, über die mit aufwändigen Kranschwenks gestrichen wird, über leere, blinde Fenster. Hinter denen lauern Symbole, die so aufdringlich sein müssen – nur so entfalten sie ihre Logik, wie wenn Carstens das Berufsschulhochhaus (sic!) am Kieler Schützenpark mit einer Lichtinstallation versieht: Ein riesiger roter Lichtpfeil, nicht zuletzt auch deutbar als Kreuz, der zum Himmel weist, während dazu im Off Stadler seinen Text rezitiert, der vom Leiden an impotenter „Erektionsmelancholie“ berichtet. Man „kommt nicht mehr hoch“, und das ist nicht nur sexuell gemeint, gerade in Zeiten, wo Viagra und Co. als erneute ganz irdische Himmelsversprechen unfröhlichste Urständ feiern.

Carstens‘ Filmsprache, die an der lockeren Assoziationsmechanik des Videojockeys „Optische Bank“, als der Carstens ebenso firmiert, geschult ist, feiert in „Don’t imagine“ ein höchst beachtliches Debut. Auch wenn manches Bildsymbol überladen mit Be-Deuten scheint, hier kitzelt einer eine Zunge, die beim vom vermeintlichen Glück des Diesseits übersättigten Zuschauer vielleicht auch schon längst taub geworden ist. Genrezitate inklusive: Eine der stärksten Szenen ist der (schwarzweiße) Dialog zwischen Teufel und Mensch, ein Rollentausch mit viel dampfendem Schwefel, den Carstens mit deutlichem Rekurs auf den Stummfilmexpressionismus inszeniert.

Doch auch diesem Hingucker befiehlt der Fluchtmodus, der den ganzen Film wie die fünfaktige Struktur einer antiken Tragödie durchzieht, bald wieder das „Run away!“. Eine Botschaft, die ins (hoffnungsvolle, weil so hoffnungslose) Nichts führen muss, in jenen Himmel, der den Vater der Aufklärung, Immanuel Kant, als „gestirnter über mir“ nicht von Ungefähr „mit jener wachsenden Begeisterung“ erfüllte, mit der man hier einem intensiven Plädoyer für die Zurückgewinnung des Himmels nachschaut. (jm)

„Don’t imagine“. MiniDV/Super-8. 32 Min. D 2003. Regie und Schnitt: Michael Carstens. Buch: Michael Carstens und Arnold Stadler. Kamera: Malte Nieschalk. Darsteller: Nina Hecklau, Susanne Kopp, Thomas Klees, Sven Sonne, Tim-Ove Kuhlmann. Gefördert von der Kulturellen Filmförderung S.-H. Premiere (in Anwesenheit von Carstens und Stadler) am 20. September, 20 Uhr im KoKi in der Kieler Pumpe.

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