Mythos versus Moderne

Niki Caros Film „Whale Rider“ im Kieler Traum-Kino

Eine Schlüsselszene: Großvater Koro (Rawiri Paratene) wickelt ein Seil um das Anlasserschwungrad eines Außenbordmotors. Das Seil – das seien die eng verwobenen Fäden zu den Vorfahren, die zum widerständigen Tau verbunden die Nachfahren stark machen, lehrt Koro seine 12jährige Enkelin Paikea (bezaubernd natürlich: Keisha Castle-Hughes). Doch beim Versuch, den Motor anzulassen, reißt das Bindeseil in die Gegenwart. Paikea indes bringt den Motor schließlich zum Laufen, ohne Seil, aber mit der Intelligenz eines kundigen Kinds der Moderne.

Um das schwierige Zurechtfinden der Nachfahren neuseeländischer Ureinwohner in der „schönen neuen Welt“ dreht sich Niki Caros Film „Whale Rider“, um das ambivalente Verhältnis zwischen archaischem Mythos und nurmehr von allen guten Geistern verlassener Moderne. Paikea wächst bei den Großeltern auf, zwar geliebt, doch das mit Vorbehalt. Denn bei ihrer Geburt starben ihr Zwillingsbruder und die Mutter. Großvater Koro, ein verbissener Bewahrer der Sitten und Riten der Maori, hatte in seinem Enkelsohn das Herannahen einer Art Messias‘ gesehen, eines, der dem mythischen Urvater der Maori – Paikea, der, so die Legende, auf einem Wal von Hawaii nach Neuseeland ritt – nachfolgen könnte. Doch ihm blieb nur seine Enkelin, die den Namen des Ahnen trägt. Freilich, sie ist ein Mädchen, nicht geeignet die „Thronfolge“ anzutreten.

Paikeas Vater Porourangi (Cliff Curtis) versucht sein Glück als Künstler in Europa, sein Bruder Rawiri (Grant Roa), ehemals eine Koryphäe im traditionellen Stockkampf der Maori, frönt verfettet dem lockeren Leben in den Tag hinein … die stolze Familie droht zu zerfallen. Doch Paikea interessiert sich für die Legenden und Mythen, die der Großvater erzählt. Während der die männliche Jugend des Dorfes in ihr fremd bleibender Traditionslehre unterrichtet, bleibt Paikea schmerzlich außen vor. Doch das Mädchen ist zäh, eignet sich heimlich den Stockkampf und andere Rituale an. Koro aber bleibt stur, entzieht ihr seine Zuneigung – bis an der Küste Wale stranden. Wo die Urtiere zu verenden drohen und mit ihnen die Traditionen der Maori, gelingt es Paikea, sie aufs offene Meer zurückzutreiben, als Reiterin auf einem Wal …

Wale reiten oder moderne Motoren? – Keisha Castle-Hughes

Niki Caro erzählt diese Gechichte nach einer Romanvorlage des Neuseeländers Witi Ihimaera (The Matriarch, Tangi) aus der Perspektive des Kindes Paikea, bedient dabei jedoch nicht das Klischee des zarten, aber starken Mädchens. Es geht um mehr als eine Story um Kinder, die den Erwachsenen in ihrer „weisen Naivität“ überlegen sind. Keisha Castle-Hughes gibt die Figur der Paikea ohne solches Pathos, vielfach gewährt der Film einen geradezu dokumentarischen Einblick in die mythischen Vorstellungswelten der Maori, ohne sie bloß folkloristisch abzubilden. Hier wird ein Konflikt aufgerollt, der beispielhaft für den „Kulturkampf“ zwischen Tradition und Moderne steht. Wenn die nach dem 11. September ausgebrochene unselige Debatte um den „Clash of Cultures“ und die Inszenierung von Kriegen als moderne Kreuzzüge das Thema auf geopolitische Machtkalküle reduziert, forscht Caros Film nach dem Ursprünglichen, das die aus den Fugen geratene Moderne wieder mit „religiöser“ Bodenhaftung versehen könnte.

Das durchaus in kritischer Distanz: Die Figur Koros erscheint gebrochen, als ein Scheitern des Traditionalisten an einer Welt, die auf Tradition als Anker zur Geschichte meint verzichten zu können. Die Bilder, die Caro am Ende für den ultimativen „Walritt“ findet, wirken dennoch recht pathetisch und auch die Aufladung vieler Szenen mit Symbolischem mag zuweilen allzu engagiert erscheinen. Dennoch ist der Regisseurin ein Film gelungen, der in Neuseeland nicht nur alle Kinorekorde brach, sondern sich über sein Thema hinaus jenen „conditiones humanas“ widmet, die den Mensch zum Menschen machen, indem er sich seiner Herkunft erinnert und dadurch auch etwas wie „stolze Demut“ vor seiner Schöpfung wiedergewinnt. (jm)

Im Kieler Traum-Kino (Grasweg 19), ab 14. August, jeweils 20 Uhr. Infos: www.wahlerider.de.

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