Analoger Film, Arbeiterfilme, Ceaușescu und die Zukunft des bewegten Bildes
Eigentlich ging es der Kieler Filmgruppe Chaos darum, ihren aus den Nähten platzenden Fundus an Film-Equipment auszudünnen, denn die Nutzung für Workshops und die Ausleuchtung von Musik-Events mit Filmprojektionen stehen bei der Filmgruppe Chaos nicht mehr an. Nur sollten die Geräte nicht einfach entsorgt werden. Das Angebot, die Kameras, Projektoren und weiteres Gedöns aus der Welt des Schmalfilms in liebevolle Hände abzugeben, ging in einen Mail-Verteiler für Film-Nerds.
Es gab Feedback aus mehreren Ländern, wobei das indische Mumbai und Reșița in Rumänien am interessantesten klangen. In Mumbai hatte die Filmgruppe Chaos bereits im Goethe-Institut („Max Mueller Bhavan“) Filme gezeigt, doch Rumänien war Neuland für uns. Wir folgten der Einladung des Muzeul Cineastului Amator nach Reșița (Reschnitz), dem Amateurfilm-Museum der Industriestadt im Westen Rumäniens.
Das bis unter die Decke des Kombis gepackte Film-Equipment hat nach langer Reise in dem an der Uni beheimateten Museum ein würdiges neues Zuhause bekommen. Wir hatten dort Seelenverwandte gefunden. Andrei Florin erklärte die Grundlagen des Museums. Er berichtete von den Hochzeiten des Amateurfilms zu Zeiten der Sozialistischen Republik Rumänien, in denen es in nahezu jedem größeren Betrieb eine Betriebsfilmgruppe gab. Sie stand unter der Aufsicht der Partei und der wesentliche Teil der Produktionen beschäftigte sich mit dem Betrieb, dem Ausbau der Produktion, hohem Besuch von Politikern, der alljährlichen Mai-Demo, aber auch mit Arbeitsunfällen.
Die Arbeiter*innen hatten das Filmhandwerk gelernt und vereinzelt nutzten sie es kreativ für einen eigenen künstlerischen Ausdruck und versteckte subversive Ideen. Egal wie man dazu inhaltlich stehen mag, sei das Teil der rumänischen Kultur und Geschichte und müsse erhalten und den Menschen zugänglich gemacht werden. Andrei Florin ist der Meinung, Kultur sei keine Ware und sollte deshalb möglichst kostenlos angeboten werden. Deshalb verlangen sie keinen Eintritt für den Museumsbesuch, ebensowenig bei Veranstaltungen und Workshops. Die Menschen sollten nicht nur Kameras, Projektoren und Plakate aus vergangenen Zeiten sehen, sondern diese Filmkultur auch verstehen. Dazu werden Workshops angeboten, in denen man erst einmal das analoge Fotografieren und Entwickeln erlernt. Es werden Negative aus dem eigenen Archiv verwendet, teilweise auf gläsernem Bildträger. Es geht dabei nicht nur um Technik, sondern auch um kulturelle und historische Zusammenhänge. So ist das Ziel der Workshops, jeweils eine Broschüre mit den Bildern und ihren Hintergründen herauszugeben. Wir bekamen eine, die zum 30. Jahrestag der Revolution erstellt wurde. Ioana Ciolea und Andrei Florin leben von normalen Jobs und stecken ihre Freizeit in das Museums- und Filmprojekt.
Wir hatten einen Auftritt mit einer Film-Liveperformance. Der in Kiel lebende Didgeridoo-Musiker Phil Conyngham schuf den Soundtrack zu den Projektionen. Wir starteten mit einem in Kiel gefundenen Super 8-Film von 1971 mit dem Magnetbuchstaben-Titel „Mein erster Film“. Der Film hat wohl längere Zeit draußen gelegen. Durch die Reinigung hatten sich Teile der Emulsion abgelöst, was dem Bild einen künstlerischen Touch gab, und der Zufall entwickelte eine eigene Ästhetik. Wir hatten auch einen dänischen Zeichentrickfilm dabei, der deutsche Märchengestalten in abstruse pornografische Handlungen führte. Diese bisweilen befremdlichen Bilder wurden mit einem 5-fach Prisma auf die Wand mit dem Ceaușescu-Porträt projiziert und waberten durch langsames Drehen durch den Raum. Erstmalig fanden auch Super 8-Lehrfilme aus dem Archiv der Filmgruppe Chaos Verwendung – merkwürde Produktionen, die ohne Ton recht langweilige Bilder aus den Bereichen Physik, Biologie und Chemie lieferten. Seinerzeit war es wohl die Aufgabe der Lehrer, zu erklären, was man da sah. Wir nutzten die grafisch wirkenden chemischen Formeln, die sich zusammensetzenden Molekülketten und die Vorgänge im Verdauungstrakt für eine Dreifachprojektion, wodurch sich bewegende abstrakte Bilder von einer eigenen Schönheit entwickelten.
In Rumänen bekamen wir mehrfach mit, dass Vieles inoffiziell organisiert wird und es Kontakte und Netzwerke gibt, die in Institutionen reichen, aber ein recht unabhängiges Handeln ermöglichen. Die Stadt lebte einst von der Stahlerzeugung, doch ein Großteil der Produktion ist inzwischen geschlossen worden. Für das größte geschlossene Werk wurde ein Museum eingerichtet, zu dem Andrei einen Schlüssel hatte und uns eine private Führung geben konnte. Die Arbeiterstadt will sich ihrer Geschichte erinnern.
Von Reșița wurden wir nach Timișoara weitervermittelt – zu den Organisatoren des „Analog Mania Festivals“. Die Stadt ist um ein vielfaches größer und wirkte wohlhabender und moderner. Der Veranstaltungsort ist ein Kulturpalast, der damals in den Händen der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei lag. Architektionisch eine Perle sozialistischen Designs. Nach der Revolution rollte die Marktwirtschaft übers Land und machte auch vor diesem Ort der Kultur nicht halt. Die Räume wurden einzeln privat vermietet. Es ist jedoch gelungen, diese Entwicklung zurückzudrehen und die Nutzung der Privatwirtschaft aus dem Gebäude herauszudrängen und es wieder kulturell engagierten Jugendgruppen zur Verfügung zu stellen. Es ist wieder ein quirliger Ort, an dem diverse kulturelle Events, Workshops und Bildungsmöglicheiten angeboten werden.
Emil Kindlein („ein in Rumänien geborener ethnischer Deutscher“) ist der Gründer des „Analog Mania Festivals“. Er war gerade dabei, die multinational zusammengewürfelte Festival-Crew einzuweisen und über die Hintergründe aufzuklären. Das Festival starte vor 12 Jahren als Teil einer Bewegung, die sich gegen die Verdrängung der analogen Bilder und Töne durch die digitalen Bild- und Tonträger wandte. In der Zeit seien quer durch Europa ähnliche Festivals gegründet worden. Emil Kindlein zeigte sich überzeugt davon, dass die analoge Kulturarbeit keineswegs verdrängt worden sei, sondern es ihr so gut wie lange nicht gehe. Analog ist kein schützenwertes Randphänomen mehr, das nur von Nerds goutiert wird, die es für so „herrlich retro“ halten. „Analog ist Avantgarde!“, so seine These. Nach dem Sich-Behaupten des Analogen, hat seiner Meinung nach bereits eine neue Phase begonnen. Es gibt nicht nur ein Nebeneinander von analog und digital in Kunst und Kultur, es entwickeln sich gerade Mischformen, bei denen nicht nur analoge Produkte digital präsentiert werden, sondern Digitales, selbst mit KI Produziertes, seinen Weg in analoges Kunstschaffen nimmt.
Wir stromerten durch die Stadt, die so stolz auf ihre Universitäten, Krankenhäuser und Kulturprojekte ist. Wir besuchten ein paar kostenlose Freiluftkonzerte und merkten, wie wenig wir über dieses gar nicht so ferne Land und seine Menschen wissen.
Im Kulturpalast der Jugend wurde herumgewuselt und „Analog Mania“ vorbereitet. Dabei geht es bereits um das Crossover zwischen analoger und digitaler Kunst. Dazu gehört auch ein Fotoautomat, der gleichzeitig ein analoges und ein digitales Bild ausspuckt. Wir haben uns gleich mal in den Kasten gesetzt.
Bei der Festival-Crew haben wir schon mal angesprochen, dass wir das 50-jährige Bestehen der Filmgruppe Chaos 2025 in Rumänien feiern könnten. (Karsten Weber)
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Echt richtig cool! Immer noch zu Verrücktem in der Lage! Grüße Stef