Von Ruth Bender
Drei Jahre lang war er am Hamburger Metropolis-Kino der einzige fest angestellte Stummfilmpianist Deutschlands – darauf ist Werner Loll immer noch stolz. Begonnen aber hat seine Laufbahn als Stummfilmbegleiter im Kommunalen Kino in Kiel. Dort verabschiedet er sich nach 35 Jahren am 7. Mai auch von der Bühne. Nicht ohne vorher im KN-Gespräch noch einmal zurückzuschauen.
Der erste Auftritt als Stummfilmpianist in der Pumpe 1988 hätte auch gründlich daneben gehen können. „Als ich am Flügel saß und die Lichter ausgingen“, schmunzelt Werner Loll, „da wurde mir erst klar, was ich über Stummfilmbegleitung alles nicht wusste.“ Die mitgebrachten Noten jedenfalls konnte der Musiker im Kinodunkel vergessen: „Mit den Motiven, die ich noch erinnerte, konnte ich mich halbwegs durchimprovisieren. Aber seither habe ich nie mehr meine Lampe vergessen.“
Eigentlich kam Werner Loll vom Jazz, hatte in Hamburg bei dem legendären Vibrafonisten Werner Schlüter studiert und in der NDR-Rehearsal-Band von Dieter Glawischnig. Fürs Kino entdeckt hat ihn in Kiel Kinoleiterin Gesa Rautenberg im Roten Salon der Pumpe. „Ich war jeden Donnerstag da“, sagt Loll, „mit wechselnden Jazz-Formationen auf der Bühne oder als Zuhörer.“ Und weil er ein Faible hatte für das Kino im Allgemeinen und den Stummfilm im Besonderen, sagte er zu, als die Kinoanfrage kam. „Mich hat die Bildgestaltung fasziniert“, sagt er, „die ist so viel expressiver und ausgefeilter als im Tonfilm. Mir sagt das einfach was.“
Hausbesuch beim Stummfilmpianisten Werner Loll in Goosefeld
Neben Loll hat es sich in der Küche die schlaksige irische Wolfshündin Karla bequem gemacht. Draußen geht der Blick übers Feld, eine Koppel, die der promovierte Musikwissenschaftler und die Keramikerin Claudia von Rudloff dazugekauft haben und jetzt als Naturschutzgebiet renaturieren. Im Teich quaken schon Frösche; bald sollen drumherum Wildblumen wachsen. Vor 30 Jahren haben sie die Scheune auf dem Land bei Eckernförde umgebaut. Und das Musikzimmer etablierte sich bald als Treffpunkt für wechselnde Bands. „Und wir haben dazu Pizza serviert“, sagt Loll.
Hunderte von Filmen hat der 69-Jährige seit 1988 begleitet, von den Nibelungen bis Stan und Ollie. Quer durch die Republik zum Bonner Sommerkino und weiter nach Wien; einmal auch nach Venedig. Die Plakate im Haus berichten davon. Charlie Chaplin im Badezimmer, im Musikzimmer „Metropolis“ und „Die Frau, nach der man sich sehnt“, einer der frühen Filme von Marlene Dietrich, in dem sie noch nicht der blondierte Vamp ist, aus Hannover. Und daneben Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“, den Loll von Hannover bis Kiel immer wieder gespielt hat – und in Bremen, ein Auftritt von Michail Gorbatschow inklusive.
Und obwohl auch der Stummfilm von dem Mann am Klavier ständige Bereitschaft verlangt und Improvisationstalent, ist Werner Loll im Kino vor allem Präzision wichtig. Volle Konzentration zwischen Noten und Film. „Der Film ist für mich der Regisseur oder Dirigent – und ich folge“, sagt er.
Für den Stummfilm braucht es Leidenschaft, so der Pianist
Das heißt vor dem Auftritt: Film gucken, Szenen notieren, die richtige Musik aussuchen, meistens klassisch von Chopin bis Wagner oder jazzig für die Komödien. Und üben. „Mir ist es wichtig, den Filmen historisch treu zu bleiben“, sagt er. „Die Musik soll eine eigene Bedeutungsebene eröffnen.“ Wenn vorhanden, greift er auch zu einem der seltenen „Cue sheets“, auf denen die Musik zu den Szenen verzeichnet ist. Im Hamburger Kino „Metropolis“, wo er 1991 bis 1994 der einzige fest angestellte Stummfilmpianist Deutschlands war, bekam er einige davon in die Hände. Für „Birth Of A Nation“ oder „Greed“.
Lieblingsfilme wie auch „Der müde Tod“ und „Dr. Mabuse“ mit dem leisen Horror von Fritz Lang, G.W. Pabsts aufgeladene „Büchse der Pandora“, das Drama „Broken Blossoms“ von D.W. Griffith. „Und ich liebe alles von Buster Keaton, Lloyd, Stan und Ollie und Charlie Chaplin“, schmunzelt Werner Loll. „Der Witz funktioniert damals wie heute: Die Leute lachen sich über den Slapstick schlapp.“
Für seinen Abschied als Filmpianist am 7. Mai im Kino in der Pumpe hat sich Werner Loll etwas ganz anderes ausgesucht. Robert Flahertys „Nanuk der Eskimo“, eine Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilm. Der hat mit 75 Minuten eine überschaubare Länge, und nach einem Herzinfarkt während der Pandemie muss er haushalten mit den Kräften. „Außerdem wollte ich etwas Besonderes spielen.“
Als Begleiter hat er sich Gerhard Breier dazugeholt. „Der spielt so ziemlich alle Instrumente außer Geige und ist fast eine Band.“ Und danach? Ganz ohne Musik könne er sich das Leben nicht vorstellen, sagt Werner Loll. „Und vielleicht spiele ich dann wieder Jazz.“
(Der Artikel erschien zuerst am 3. Mai 2023 auf www.kn-online.de und wurde uns freundlicherweise von der Autorin zur Verfügung gestellt.)