Die Nachwuchsvereinigung Junger deutscher Film 2023 hat unter dem Motto „Angst essen Kino auf“ einen Appell gestartet, dem man sich unter der Website https://appellkino2023.wixsite.com/jungerdeutscherfilm anschließen kann. Hier der Appell im Wortlaut:
„Gutes Kino braucht gute Filme. Da sind wir uns einig. WIR, der Filmnachwuchs – wir wollen gute Filme machen. Wir lieben das Kino! Wir leben für das Kino! Und wir glauben daran, dass das deutsche Kino überlebt.
Doch IHR, die Ihr die Weichen stellt in unserer Branche – macht es uns schier unmöglich, für dieses Kino zu kämpfen. Denn: Es herrscht Angst in Euren Reihen. Und das macht UNS Angst. Und wie sollen wir mit Angst gute Filme machen?
In Deutschland wagt man nichts, was sich nicht bereits bewährt hat. “German Angst” nennt man das spöttisch im Ausland. Aber Angst war noch nie ein guter Ratgeber.
Statt zu sehen, dass Erfolg nur mit Risikobereitschaft, mit Neuem, Nie-Dagewesenem, Originellem kommt, setzt Ihr auf Remakes, Sequels, Romanadaptionen, Schenkelklopfer-Komödien und natürlich: bekannte Gesichter und Namen. Und selbst das zieht das Publikum seit Corona nicht mehr in die Kinos. Nicht wirklich.
Was habt Ihr also zu verlieren?
Es ist Zeit, dass wir reden.
Die Lähmung, die das deutsche Kino befallen hat, hat mehrere Gründe. Einer davon wiegt für uns aber besonders schwer: Die Finanzierung von Kinofilmen OHNE Fernsehbeteiligung ist in Deutschland quasi unmöglich. Auch in anderen EU-Ländern ist das so. Doch in Deutschland agiert das Fernsehen wie eine Art Türsteher – (und seit der Pandemie hat der richtig dicke Muskeln). Erst wenn man ein Green Light vom Sender hat, traut man sich hierzulande vor das Filmfördergremium – da sitzen nämlich meist genau diese Sender mit drin.
Das Fernsehen entscheidet bei uns also, ob ein Film Potenzial fürs Kino hat – oder eben nicht.
Versteht uns nicht falsch: Wir haben nichts dagegen, dass Fernsehsender unsere Filme unterstützen. Ganz im Gegenteil! Aber dann muss Fernsehen wieder mutiger werden, und das Kino als Kino respektieren. Es kann nicht sein, dass Kinofilme “fernsehkonform” gemacht werden, damit sie, wenn überhaupt, zu später Stunde über die kleinen Bildschirme laufen dürfen. Dabei haben die öffentlich-rechtlichen Sender doch einen Kulturauftrag!
Ihr wollt von uns keine Innovation, sondern Sicherheit. Inzwischen soll bereits der erste lange Kinofilm ALLEN gefallen. (Und was allen gefällt, gefällt doch niemandem richtig.) Verzweifelt und kompromissbereit sind wir also gezwungen, für Euch unsere Ideen zu beschneiden, bis kaum noch etwas von ihnen übrig ist. Auf unser Talent und unser Können vertraut Ihr schon lange nicht mehr!
Sollten Nachwuchsfilme nicht grundsätzlich als zu förderndes Kulturgut gelten, weil sie neuen Wind in die Kinolandschaft bringen? Es war immer schon der Nachwuchs, der im Kino die neuen Impulse gesetzt hat. Nicht nur in den 60ern oder 80ern, sondern auch noch vor ein paar Jahren – vor Corona, vor der Schließung der Kinos…
Seit der Pandemie aber investieren weder Verleiher noch Sender wirklich in innovatives Kino. Und das trifft vor allem UNS. Und unsere Filme. Denn unsere Namen sind für Euch noch keine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg. Und die Kino-Nachwuchstöpfe der Sender scheinen irgendwie ein mysteriöses Loch zu haben.Zumindest werden sie mit jedem Jahr leerer. So brauchen wir oft Jahre und X Redaktionen, um unsere ersten Langfilme nach der Filmhochschule auf die Beine zu stellen. (Falls wir das überhaupt schaffen, denn einige Nachwuchsfördertöpfe sind zeitlich begrenzt).
Ein ungeschriebenes Gesetz aber sagt: Ohne abendfüllendes Debüt keine Chance auf einen weiteren Langfilm. Damit geraten wir in einen absurden Teufelskreis. Denn ohne Sender keine Förderung – ohne Förderung keine Finanzierung – ohne Finanzierung kein Debütfilm, ohne Debütfilm keine Zukunft…
Das junge deutsche Kino stirbt. Langsam und qualvoll. Vor Euren Augen. Wir sind gefangen in einem gelähmten System, das gerade dabei ist, still zu ertrinken, statt sich gegen den Tod aufzubäumen.
Dabei wollen wir Neues ausprobieren. Wir haben Ideen, wollen experimentieren, verändern, schaffen. Aber dafür müsst Ihr uns erst mal lassen!
Die meisten von uns haben jahrelang an staatlichen Filmhochschulen studiert – in einem der teuersten Studiengänge Deutschlands – von Euch finanziert! Aber für Euch müssen wir danach noch einmal ganz von vorne anfangen. Auch wenn wir bereits erfolgreiche Filme in der Tasche haben. Fingerübungen nennt Ihr das beim Fernsehen. Wir müssen Euch erst zeigen, ob wir das können. Was können? Ins Format passen?
Wir haben dieses Handwerk gelernt. Wir haben eigene Handschriften entwickelt. Wir wissen, was wir tun. Und wir können es auch. Wir haben unbändige Kraft und Energie, aber sie versickert im Nichts.
Eure Angst tötet unsere Kreativität, unsere Ideen, unsere Lust am Schaffen.
Was wir jetzt brauchen ist Mut. Euren Mut. Mut, ambivalent zu erzählen. Mut, Mehrdeutigkeit zuzulassen – auch unbequem zu werden. Und Scheitern als Chance zu begreifen – als natürlichen Bestandteil künstlerischer Arbeit! Nur so entstehen neue Impulse und Erzählformen für ein kraftvolles, diverses und zukunftsweisendes Kino.
Wir sind die Zukunft des deutschen Films. Ihr braucht uns. Und wir brauchen Euch.
Worauf wartet Ihr?
Investiert in Euren Nachwuchs. Stockt die Fördertöpfe auf. Setzt auf mutige Projekte. Fördert mehr Filme ohne Senderbeteiligung. Schafft die zeitliche Begrenzung für Debüts ab. Glaubt an ungewöhnliche Entstehungsprozesse. Vereinfacht die Nachwuchsförderung. Sucht neue Finanzierungswege. Erkennt das Kino als Kulturgut an.
Traut uns etwas zu. Vertraut in unser Talent.
Was habt Ihr zu verlieren?
UNS.
Dieser Appell wird derzeit vertreten durch Eileen Byrne & Franziska Margarete Hoenisch & Pauline Roenneberg. Kontakt: jungerdeutscherfilm2023@gmail.com