Im Rahmen der Abschlussveranstaltung am 8.10.2022 sind im CinemaxX Dammtor die Preise des 30. Filmfest Hamburg vergeben worden.
Zur Jubiläumsausgabe kamen insgesamt 477 Gäste aus 31 Ländern, darunter die Festivalmacher und Filmemacher·innen aus der Ukraine, die beim Molodist Kyiv International Film Festival im Alabama Kino zu Gast waren und ihren nationalen Kurz- und Langfilmwettbewerb in Hamburg ausrichteten. Albert Wiederspiel und sein Team begrüßten in Hamburg unter anderem die Regisseur·innen Santiago Mitre, Ruth Mader, Ruben Östlund, Gunnar Vikene, Ulrich Seidl, Fatih Akin, Aelrun Goette, Lucas Dhont, Emmanuelle Nicot, Lisa Akoka, Daniel Goldhaber, Anaïs Barbeau-Lavalette, Joya Thome sowie die Schauspieler·innen Angeliki Papoulia, Zar Amir-Ebrahimi, Vita Smachelyuk, Merve Dizdar, Rosalie Tomass, Ursula Lardi, Sunnyi Melles, Fritzi Haberlandt, Iris Berben, Mala Emde, Jonas Dassler, Emilio Sakraya, Lars Eidinger und Stefan Kurt.
Gezeigt wurden 116 Langfilme in zehn Sektionen aus 58 Produktionsländern. Bei den dreitägigen Industry Days ging es unter anderem um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Filmbusiness, um das Produzieren in osteuropäischen Ländern und um die Situation von Filmemacherinnen in der islamischen Welt, die dritte Explorer-Konferenz setzte sich mit den Herausforderungen und Chancen des Produzierens im digitalen Zeitalter und in der nahen und fernen Zukunft auseinander. Beim „Filmfest ums Ec“-Programm wurden in diesem Jahr fünf Filme in sieben Stadtteilkinos gezeigt.
41.500 Besucher*innen kamen in diesem Jahr zum Filmfest Hamburg, das sind nur 7,8 Prozent weniger als im präpandemischen Festivaljahr 2019.
Festivalleiter Albert Wiederspiel: „Zehn Tage lang Filme auf der großen Leinwand mit filmbegeisterten Menschen in einem Raum: Eine bessere Werbung für das Kino und das gemeinsame Geschichten erleben kann es doch eigentlich nicht geben. Wir danken unserem Publikum von ganzem Herzen über diese Begeisterung und freuen uns über diese guten Zahlen in einer insgesamt immer noch äußerst angespannten Situation.“
Die Preise im Überblick
Der mit 5.000 Euro dotierte NDR-Nachwuchspreis für Langfilmdebüts oder zweite Regiearbeiten geht in diesem Jahr an die Regisseurin Emmanuelle Nicot für ihren Film Dalva (Belgien, Frankreich, 2022).
Jurybegründung: „Den Weg der 12-jährigen Dalva zu verfolgen, wie sie nach schwerem Missbrauch versucht wieder Kind sein zu dürfen, hat uns zutiefst beeindruckt. Emmanuelle Nicot erzählt diese Geschichte mit emotionaler Schärfe und psychologisch präzise, ohne dabei je einen Charakter bloßzustellen. Die Nähe, Distanz und den Respekt, welchen Emmanuelle Nicot zu jedem einzelnen Charakter wahrt, gibt dem Zuschauer immer wieder die Möglichkeit, sich wie ein Satellit auf die sehr bewegende und fordernde Thematik einzulassen. Fast dokumentarisch folgen wir dem Gefühlsleben der sehr einnehmenden Zelda Samson in der Titelrolle, sowie dem restlichen großartigen Ensemble. Auch die Kamerafrau (Caroline Guimbal) und die Kostümbildnerin (Constance Allain) mit ihrem aufmerksamen und liebevollen Blick für Feinheiten, sind Teil dieses großartigen Kinofilms …“
Jury:
- Andriy Khalpakhchi, Festivalleiter (Ukraine)
- Farahnaz Sharifi, Regisseurin, Editorin, Autorin (Iran)
- Adina Vetter, Schauspielerin (Deutschland)
Der mit 5.000 Euro dotierte Preis Der Politische Film der Friedrich-Ebert-Stiftung geht an den Regisseur Daniel Goldhaber für seinen Film How To Blow Up A Pipeline (USA, 2022).
Jurybegründung: „Wo unsere Gesellschaft aus vielen Richtungen existenziell bedroht ist, kommt gerade dem politischen Film als Impulsgeber eine hohe Bedeutung zu. Wir konnten herausragende Beispiele dieses Sujets sichten, die sich mit den drängenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzen. Entschieden haben wir uns für einen Film, der sich spannend, unterhaltsam und kompromisslos mit dem Kampf gegen die Klimakatastrophe beschäftigt. How to Blow Up a Pipeline von Daniel Goldhaber nimmt sich den klassischen Heist zum Vorbild, um eine hoch politische Debatte aufzugreifen und bezieht dabei eine klare Position. Die Figuren des Films planen aus den unterschiedlichsten Beweggründen einen spektakulären Sabotageakt. Dabei negiert das Ensemble aus Hardliner*innen, Lifestyle-Aktivist*innen und Betroffenen nicht die sozialen Folgen der Aktion oder deren rechtliche Würdigung, sondern hält den Plan schlicht für alternativlos und gerechtfertigt. Der Plot gibt so einen cineastischen Vorgeschmack auf mögliche Radikalisierungsszenarien innerhalb der Klimaschutzbewegung und ihre individuellen Motive. Man muss die Haltung des Films nicht teilen, aber anerkennen, dass er in besonderer Weise geeignet ist, fruchtbare Kontroversen auszulösen und die Diskussion um die Bekämpfung der Klimakatastrophe zu befördern.“
Jury:
- Julia Cöllen, Produzentin
- Barbara Denz, Redakteurin
- Alexander Mohrenberg, Politiker
Der mit 5.000 Euro dotierte Arthouse Cinema Award des Internationalen Verbands der Filmkunsttheater (C.I.C.A.E.), geht an den Film Close (Belgien, Frankreich, Niederlande, 2022), Regie: Lucas Dhont, Verleih: Pandora Film. Das Preisgeld wird von der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein für PR-Maßnahmen des deutschen Verleihs zur Verfügung gestellt.
Jurybegründung: „Mit dem Arthouse Cinema Award des Filmfests Hamburg 2022 zeichnen wir die beeindruckend reife künstlerische Leistung eines noch jungen Filmemachers aus. Es gelingt ihm, leichthändig eine ernste und zutiefst menschliche Geschichte von Freundschaft und Trennung, Liebe und Verlust zu erzählen, gestützt auf zwei herausragende junge Darsteller an der Schwelle zum Teenageralter. Mit vielen Close ups bringt uns der Regisseur seine Protagonisten nah, ohne den Blick auf ihr familiäres und schulisches Umfeld zu verlieren. Die dynamische Kameraarbeit lässt uns die Welt aus der Perspektive zweier enger, fast brudergleicher Freunde erleben. Besonders überzeugt hat uns, dass der Film am Ende eine Zukunftsperspektive aufzeigt und glaubhaft macht, dass die junge Hauptfigur den Schritt ins Erwachsenenleben durch die Bewältigung eines Traumas meistert. Der Arthouse Cinema Award der CICAE geht an Close von Lukas Dhont. Herzliche Gratulation!“
Jury:
- Danilo Clematide, Kinobetreiber, Kino Roxy, Romanshorn/Schweiz
- Dominique Henz, Programmmacherin und Kuratorin
- Erdmann Lange, Programmgestalter, Atlantis / Odeon, Mannheim
Der Preis der Filmkritik wird seit 2018 in Zusammenarbeit mit dem Verband der deutschen Filmkritik vergeben. Der Preis geht an R.M.N. von Cristian Mungiu (Rumänien, Frankreich, 2022).
Jurybegründung: „,Von zu Hause aus liegt alles im Westen.’ Das gilt für den Siebenbürger Sachsen im deutschen Schlachthof als auch für den subalternen Arbeitsmigranten aus Sri Lanka in der transsilvanischen Brotfabrik. Diese beiden Perspektiven und viele weitere führt Cristian Mungius Drama R.M.N. in einem rumänischen Dorf zusammen. Historische Konflikte zwischen verschiedenen Ethnien brechen durch die Ankunft der Gastarbeiter wieder auf. Beeindruckend vielschichtig porträtiert Mungiu männliche Gewalt, Rassismus und das Scheitern von Aufklärung. Lokales und Globales verschränken sich zu einer poetischen Aporie: die wahren Raubtiere lauern zu Hause.“
Lobende Erwähnung:
„Eine lobende Erwähnung spricht die Jury für Wissam Charafs Film Dirty Difficult Dangerous aus. In Beirut erhebt eine äthiopische Hausangestellte und einen syrischen Kriegsflüchtling allein ihre Liebe aus alltäglicher Armut und Diskriminierung. Ein Film, der auf magische Weise Schweres zu überraschender Leichtigkeit amalgamiert.“
Jury
- Volker Behrens, Hamburger Abendblatt
- Yun-Hua Chen, Film International
- Katrin Hillgruber, Deutschlandradio, Tagesspiegel
- Danny Marques, NDR 90,3
- Karsten Munt, Filmdienst, Perlentaucher, Filmbulletin
- Parvin Sadigh, ZEIT online
- Philipp Stadelmaier, Süddeutsche Zeitung
Der mit 5.000 Euro dotierte Filmfest Hamburg Publikumspreis, gestiftet von der Hapag-Lloyd Stiftung für den besten Film aus dem Programm geht an Amerikatsi (Armenien, 2022), Regie & Drehbuch: Michael Goorjian.
Bereits am Vorabend wurden die Hamburger Produzentenpreise „Deutsche Kinoproduktionen“ und „Internationale Kino-Kopoduktionen“ an die Produzenten Tobias Walker und Philipp Worm / Walker + Worm Film (Aus meiner Haut, Regie: Alex Schaad) und an die Produzent*innen Michael Reuter, Saar Yogev und Naomi Levari /Electric Sheep (Victim, Regie: Michal Blaško) vergeben worden. Eine lobende Erwähnung wurde für den Film Holy Spider, Regie: Ali Abbasi ausgesprochen. Die Preisgelder in Höhe von jeweils 25.000 Euro für diese Kategorien werden von der Behörde für Kultur und Medien zur Verfügung gestellt. Der Hamburger Produzentenpreis „Deutsche Fernsehproduktionen“, ebenfalls in Höhe von 25.000 Euro und gestiftet von der Verwertungsgesellschaft der Film- und Fernsehproduzenten (VFF), geht an Christian Popp / Producers at Work Film (Das Wunder von Kapstadt, Regie: Franziska Buch). Mit dem Sonderpreis für serielle Formate in Höhe von 10.000 Euro gestiftet von der VFF ist Christian Beetz / gebrüder beetz filmproduktion (Reeperbahn Spezialeinheit FD65, Regie: Georg Tschurtschenthaler, Carsten Gutschmidt, Ina Kessebohm) ausgezeichnet worden.
Der mit 5.000 Euro dotierte Michel Filmpreis, zur Verfügung gestellt von der Hamburgischen Kulturstiftung und von Berlichingen & Partner Steuerberatungsgesellschaft, wurde bereits am 5. Oktober von der Michel-Jury an Geheimnisvolle Sommer (Frankreich 2021, Regie & Drehbuch: Christophe Barratier) vergeben.
Douglas Sirk-Preisträger 2022 ist Ulrich Seidl. Wegen der Vorwürfe gegen die Produktion rund um die Arbeitsbedingungen während der Dreharbeiten zu dem Film Sparta (Österreich, Deutschland, Frankreich, 2022) hat Filmfest Hamburg die Zeremonie ausgesetzt, weil die Vorwürfe eine Preisverleihung überschattet hätten. Der Film wurde gezeigt. Ulrich Seidl war zu Gast in Hamburg. Der Preis wird dem österreichischen Regisseur bei der Deutschlandpremiere seines nächsten Films in Hamburg übergeben.
Die Jury des Molodist Kyiv International Film Festival, bestehend aus der Schauspielerin Fritzi Haberland, der Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Neymann und dem Produzenten Farzad Pak, vergaben am 5. Oktober den mit 2.000 USD dotierten Scythian Deer Award an Nikon Romanchenko und seinen Film Leopolis Night in der Kategorie bester Kurzfilm. Lobend erwähnt wurde Dima, Dmitry, Dmytro Glory to the Heroes von Clemens Poole. In der Kategorie bester Langfilm gewann Stop-Zemlia von Kateryna Gornostai, der beim Michel Kinder und Jugend Filmfest außerhalb der Konkurrenz lief. Die Jury überreichte die Scythian Deer Statuette und 3.000 USD. Eine lobende Erwähnung sprach die Jury für Pamfir von Dmytro Sukholytkiy-Sobchuk aus, der auch im Filmfest-Programm lief. Das Molodist Kyiv International Film Festival wurde von Hamburg Marketing und ART CONNECTS* – Hilfsfonds für Projekte mit schutzsuchenden Kulturschaffenden – unterstützt.
(nach einer Pressemitteilung des Filmfests Hamburg)