Helmut Schulzecks Film-Essay „Ich Ich Ich – Kriegskinder“ (D 2022, 104 Min.) feiert Premiere
„Ich Ich Ich – Kriegskinder“ – untertitelt als „ein Film-Essay über das Verfolgen von Zielen, über Standfestigkeit, selbst wenn man scheitert“ – erzählt exemplarisch drei Entwicklungsgeschichten aus der Generation der so genannten „Kriegskinder“. Die Protagonisten (Jahrgang 1939 und 1941) entstammen der gut situierten Bürgerschicht. Ihre Väter waren promovierter Historiker, Diplom-Ingenieur für Hoch- und Tiefbau und Konditormeister mit eigener Konditorei. Allen drei Protagonisten ist ein starkes Ego, Kreativität sowie sozialkritisches und politisches Denken zueigen.
In ihrer Jugend durchlaufen sie eine vom restaurativen Geist der 1950er Jahre geprägte Schulzeit, welcher der Kommando-Ton der gerade vergangenen Kriegs- und Vorkriegsjahre noch anhaftet. Während ihrer akademischen Ausbildung in den 1960er Jahren werden sie mit der so genannten „Studentenrevolte“ der 68er konfrontiert, sind darin nicht typische Handelnde bzw. Träger, auch nicht Mitläufer, sondern gehen ihre eigenen – im positiven Sinne eigensinnigen – Wege. Einer erlebt seine Relegation von der Filmhochschule als Befreiung von hierarchischen Zwängen und kann sie als Berufsanfänger sogar wie eine Art Empfehlung für seine Arbeit als Kameramann nutzen. Der Zweite versucht mit anderen, die Hamburger CDU von innen heraus „aufzurollen“. Und der Dritte steht erfolgreich ein versuchtes „Berufsverbot“ durch.
Ein früherer, ironischer Arbeitstitel des Films lautete „Ich Ich Ich – Die Selbstdarsteller“. Jedoch erweisen sich die Protagonisten hier weniger als Selbstdarsteller denn als „Zeitdarsteller“ – als Zeitzeugen der Generation der Kriegskinder bzw. der 68er. Lebensgeschichte wird hier zur Zeitgeschichte, exemplarisch für einen Teil der Generation der um 1940 Geborenen. Da alle drei nicht unmittelbar und bruchlos mit den 68ern verbunden sind, sondern innerhalb dieser Generation in gewisser Weise Sonder- bzw. Seitenwege beschritten haben, wird auch das in den letzten Jahren verfestigte Narrativ der 68er selbst sowie über die 68er differenziert. Bernd Fiedler sagt es ziemlich am Anfang in einem Satz: Es gehe immer um Idealismus und Individualismus.
Einen größeren Raum nimmt auch das Thema Film ein, was Film ist und was Film im gesellschaftlichen Kontext und Diskurs kann (bzw. könnte). „Ich Ich Ich – Kriegskinder“ ist damit auch eine Reflexion über Ästhetiken des Films und ein Plädoyer für Filme jenseits der jeweils herrschenden Main Streams und vor allem Produktionsbedingungen. Auch dafür sind die Protagonisten mit ihren jeweils eigen(sinnig)en Wegen wichtige Zeitzeugen.
Nicht zuletzt erzählt der Film auch etwas über die Folgegeneration(en) der Kriegskinder und 68er, in diesem Falle Helmut Schulzeck (geb. 1954). Die Protagonisten haben ihn stark beeinflusst. Kurt Denzer (verstorben im November 2021) brachte ihn in der Film-AG des Studentenwerks der Uni Kiel zum Filmemachen. Mit Bernd Fiedler als Kameramann arbeitete Schulzeck oft zusammen (zuletzt im ebenfalls 2022 erschienenen „Das Geheimnis von Kiel“) und war auch mehrfach im Team von Fiedlers Filmprojekten, u.a. als Produktionsleiter. An Dierk-Eckhard Becker beeindruckte Schulzeck dessen polyglottes philologisches Wissen und sein reicher Erfahrungsschatz. Überdies waren und sind die drei gut vernetzt in den Szenen von Film, Theater und z.T. auch Politik und öffneten Schulzeck dort manche Türen.
„Sie sind alle enge Freunde“, sagt Schulzeck und man ist versucht zu ergänzen: väterliche Freunde. „Väter“ aber, gerade prägende, wollen nicht aufs Podest gehoben, sondern – spätestens seit den 68ern – „entsockelt“ werden. Diese Ambivalenz gegenüber „Vaterfiguren“ und die kritische Distanzierung von der Vorgängergeneration, die ja auch die Protagonisten haben, ist dem Film als erfrischender Tiefenstrom anzumerken. Vor allem wenn Helmut Schulzeck – mit Bezug zum urspünglichen Arbeitstitel – augenzwinkernd resümiert: „Die drei hören sich gerne selbst reden, das tue ich ja selbst.“ Einen schönen Platz, ein Forum zum „gerne selbst Reden“ hat er ihnen mit diesem Film geschaffen.
Premiere am Mittwoch, 5.10.2022, 20 Uhr im Kieler Kino in der Pumpe. Weitere Vorführungen am gleichen Ort am Sonntag, 9.10. und Montag, 10.10.2022, jeweils 18.30 Uhr.