Das Projekt „digicomic“ hat eine lange Geschichte, die ehrlicherweise mit Neid beginnt: Wo man auch hinguckt stehen, gehen und warten Menschen mit dem Blick auf ihr Smartphone. Und man kann sich sicher sein: Comics lesen sie dort nicht, denn es gibt kaum Comics, die auf dem Smartphone funktionieren – oder auch nur verfügbar sind.

Für Comic-Autor*innen ist es immer ein Ziel, möglichst viele Leser*innen zu erreichen und zu begeistern. Da dies über den klassischen Buchmarkt nur schwer gelingt, musste das Comic Center Kiel (CCK) einfach einen Versuch starten, mit den Smartphones ein neues Medium zur Verbreitung unserer Geschichten zu erschließen.

Mit finanzieller Unterstützung der Landesbibliothek Schleswig-Holstein war es dem CCK möglich, das Projekt künstlerisch und technisch auf den Weg zu bringen: 10 Künstler*innen haben Stories entwickelt, Sprecher*innen die Texte eingesprochen und Programmierer einen Player entwickelt, auf dem man zwischen der Bild-Text-Version und einer filmischen Version wechseln kann. Durch die enorm heterogenen Geschichten bekommt man einen Eindruck, wo durch digitale Formen Mehrwerte erzeugt werden können – und wo sie an ihre Grenzen stoßen.

Ziel des Comic Centers Kiel bei diesem Projekt war und ist nicht, alle Fragen der Comic- Digitalisierung zu beantworten, sondern einen offenen Prozess anzustoßen, an dessen Ende sich die Zahl der medialen Wege für alle Beteiligten (Künstler*innen, Verlage, Konsumenten) erhöht und somit auch die Zahl der Möglichkeiten, künstlerisch ambitionierte Geschichten auf den Weg zu bringen.

Ausschnitt aus: Hauke Kock: „Bis du wieder bei mir bist“

»Wir sind froh, dieses Experiment gestartet zu haben! Eine Diskussion mag manchmal sinnvoll sein, aber ab einem gewissen Punkt muss man es einfach mal machen. Unsere Ergebnisse sind ein guter erster Schritt und wir sind gespannt auf die Reaktionen der etablierten Verlage«, gibt Projektleiter Volker Sponholz zu Protokoll. »Da wir an sämtlichen Schritten aktiv beteiligt waren, können wir die Baustellen recht gut benennen und uns auch an der weiteren Entwicklung konstruktiv beteiligen«, fügt CCK-Kollege Tim Eckhorst hinzu.

Das Projekt wurde seit 2020 im Rahmen der Corona-Nothilfen durch das Kompetenzzentrum für Digitalisierung und Kultur der Landesregierung in Höhe von 45 T € gefördert. „Mit dem Projekt Digicomic erreichen wir ein zentrales Ziel unseres Förderprogramms, nämlich die Erstellung und Umsetzung einer Strategie zur nachhaltigen digitalen Vermittlung der Kunstform Comic“, so Berit Johannsen von der Leitung der Landesbibliothek und dort verantwortlich für das Förderprogramm.

Der Weg zum Smartphone war und ist heiß diskutiert. Die etablierten Verlage scheinen keine wirklich funktionierende Form gefunden zu haben. Für viele Comic-Fans ist ein Comic auf dem Smartphone kein Comic mehr: kein Seitenlayout, keine Splashpanels, kein haptisches Erlebnis. Doch was wollen die Künstlerinnen und Künstler, die die Geschichten zeichnen? In erster Linie doch genau das: zeichnend Geschichten erzählen! So wie sich die Formen der „klassischen“ Comics stark durch die Möglichkeiten und Limitierungen der Printmedien entwickelt haben (Strips und Sonntagsseiten für die Zeitungen, 24-Seiten-Hefte, 48/64-Seiten-Alben etc.) und erst mit der Graphic Novel eine autorenorientierte „Befreiung“ von ökonomisch vertretbaren Druckformen erlebt haben, so gilt es nun, passende Formate für das Smartphone zu finden.

Ausschnitt aus: Katharina Kierzek: „Tränengeister“

Das haptische Erlebnis mag verloren gehen – aber gewonnen werden die Möglichkeiten des Tons! Gesprochener Text, Sounds, Musik – all das eröffnet uns neue Universen des Erzählens. Und wo im Druck nur das Weiß des Papiers als größtmögliches Licht nutzbar ist, gibt es hier ein tatsächlich den Betrachtern entgegen leuchtendes Licht, das es einzusetzen gilt!

Der Wegfall der „Fladderheftchen“, billiger Hefte im Supermarkt, mit denen neue Geschichten und Formate in enger Kundenbindung erprobt werden konnten, ehe sie vielleicht irgendwann den Weg zum gebundenen Buch fanden, kann vielleicht mit dem Smartphone kompensiert und zu ganz neuen Geschichten geführt werden. Kleinere Einheiten der Story (ähnlich den Folgen einer Serie), Experimente oder auch interaktive Storylines – vieles ist denkbar, machbar und vielleicht sogar genießbar? Das Projekt digicomics soll ein erster Versuch in diese Richtung sein.

Es wird immer etwas Besonderes bleiben, mit einem guten Comic in der gemütlichsten Ecke der Wohnung zu verschwinden. Aber wenn wir auch auf Zugfahrten Stories zwischen Hörbuch und Film genießen könnten, die richtig Spaß machen, sollten wir das als etwas Neues, als ein „Mehr“ verstehen, nicht als einen Verlust des Gewohnten!

Die Projektwebsite findet sich unter: digicomic.sh.

Beteiligte Künstler*innen:

  • Antonia Kühn
  • Eva Muggenthaler
  • Eva Hartmann
  • Katharina Kierzek
  • Arne Auinger
  • Hauke Kock
  • Matze Latza
  • Gregor Hinz
  • Tim Eckhorst
  • Volker Sponholz

Programmierer:

  • Holonative, Kiel

Unterstützer:

  • Landesbibliothek Schleswig-Holstein
  • Landeshauptstadt Kiel

(nach einer Pressemitteilung des Comic Center Kiel)

 

Titelfoto: Ein Frame aus Gregor Hinz’ Digi-Comic „Motivation“
Cookie Consent mit Real Cookie Banner