Blick in die kinematografischen Erinnerungsarchive (4)

8. Mai 2019 – 40 Jahre Kommunales Kino Kiel

Gleich und gleich gesellt sich gern. Und so stehen (bzw. standen) sich zwei bedeutende Institutionen in Sachen Filmkultur in Schleswig-Holstein nicht nur inhaltlich, sondern schließlich auch räumlich sehr nahe, nachdem die Filmwerkstatt der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. 2001 aus den Räumen der Muhlius-Schule zum so genannten soziokulturellen Zentrum Pumpe und damit in die unmittelbare Nähe zum Kommunalen Kino in der Pumpe (KoKi) „rüber gesiedelt“ war. Denn wie sagte doch die langjährige Leiterin des KoKi Kiel Gesa Rautenberg schon 1999 in einem Kurzstatement in „Der Jubiläumsfilm“ (H. Schulzeck, 1999) so schön und treffend: „Auf jeden Fall ist sicher, dass die ersten Jahre einsamer in Kiel waren, als es nämlich die Filmwerkstatt der Kulturellen Filmförderung noch nicht gab … und das ist wirklich eine wunderbare Zäsur gewesen und eine wunderbare Zusammenarbeit seither. Über den Kleinen Kiel haben wir uns gegenseitig pingpong-mäßig die Bälle zugespielt, neue Ideen … Filme wurden vorgestellt von jungen Filmemachern und gemeinsame Diskussionen, Seminare veranstaltet. Und diese Dinge sind wichtig. Darüber werden wir in Zukunft auch nachdenken, wie wir das weitermachen.“
Beide Institutionen (wobei die Kulturelle Filmförderung SH e.V. mit einem veränderten Schwerpunkt in ihrer Arbeit bzw. ihrem Wirken heute Filmkultur Schleswig-Holstein e.V. heißt) begehen in diesen Tagen einen runden Geburtstag. Das Kommunale Kino Kiel wird 40 Jahre und der Verein Kulturelle Filmförderung e.V. am 11. Mai 2019 30 Jahre alt. Nun, von „begehen“, geschweige denn von „feiern“ dieser Jubiläen kann nach bisheriger Vorausschau eigentlich (noch?) nicht die Rede sein. Deshalb soll an dieser Stelle die Chance genutzt werden, an die Gründung dieser cineastischen Einrichtungen zu erinnern.
Hier, im ersten Teil, widme ich mich der Kieler Kinosituation vor der Gründung des Kommunalen Kinos Kiel, der Eröffnung des Kommunalen Kinos und den Konsequenzen für die lokale Kinolandschaft. In einem weiteren Teil, der demnächst folgt, werde ich über die Entstehung der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein e.V. erzählen.
Gesa Rautenberg, über 25 Jahre die Chefin des Kommunalen Kinos, spricht in einem Interview von „Wüste“, wenn sie sich an die Kinosituation und ganz allgemein an das kulturelle Angebot in Kiel Anfang der 70er Jahre erinnert. Verwöhnt aus München kommend, in dem die große deutsche Kinokrise noch nicht angekommen war, landete sie abends mit Freunden unternehmungslustig oft sehr schnell wieder in den eigenen vier Wänden, „weil es in Kiel nichts gab“. Das hört sich zwar ein wenig pauschal und übertrieben an, trifft aber in Sachen anspruchsvolles Kino für die Fördestadt durchaus zu, wenn frau wie Gesa Rautenberg einen anspruchsvollen Filmgeschmack hatte (z.B. Filme von Pasolini, Kubrick, Kluge, Fassbinder schätzte), der an der Isar noch befriedigt wurde. In Kiel war nach dem großen Kinosterben in den 60er Jahren, das u.a. durch die schwächelnde deutsche Filmproduktion der Altbranche und den steigenden Fernsehkonsum bedingt war, nur der „Kinopark“ des örtlichen Kino-Monopolisten Klaus Scepanik übriggeblieben.
Während also der traditionelle deutsche Unterhaltungsfilm in eine existentielle Krise geriet (Stichwort: „Opas Kino ist tot!“), etablierte sich ab Ende der 60er Jahre nicht nur in Deutschland der junge europäische Autorenfilm. Doch dafür fand Klaus Scepanik, der auch Präsident des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater war, nur wenig Platz in seinen Kieler Kinos. Zwar trug er mit dem seit 1964 in seinem Besitz befindlichen Filmkunsttheater „Regina“ (Holtenauer Str. 94) der neuen Strömung Rechnung. Das geschah aber eher sporadisch und gezwungenermaßen, da z.B. Filme der Nouvelle Vague oder des Jungen Deutschen Films nicht unbedingt ein Massenpublikum ins Kino zogen und damit den Kinobesitzer nicht zufrieden stellten.
Gesa Rautenberg trat in den Filmclub Kiel ein, der schon seit Anfang der 50er Jahre Filmveranstaltungen mit anspruchsvollen Filmen veranstaltete. Der Filmclub versuchte immer wieder, Scepanik dazu zu bewegen, wenigstens im „Regina“ regelmäßig anspruchsvolle Filme zu zeigen. Letztlich erfolglos.
Beeindruckt durch die „cineastische Attraktion“ der schon etablierten Kommunalen Kinos, z.B. in Berlin oder Frankfurt am Main, und der Gründung des Filmverlages der Autoren, der Filme von Wenders, Herzog, Kluge und vielen anderen jungen deutschen Regisseuren im Verleih hatte, bemühte sich der Filmclub über Jahre hinweg auch, ein Kommunales Kino für Kiel zu schaffen, das endlich auch solche Filme regelmäßig ins Programm nehmen würde. Als sich die Stadt Kiel dann in der zweiten Hälfte der 70er Jahre daran machte, ein altes, nicht mehr genutztes Abwasserpumpwerk zur Heimstätte für ein Kultur- und Kommunikationszentrum umzubauen, war der Filmclub mit dabei unter den eineinhalb Dutzend Vereinen, die die Räumlichkeiten für ihre Zwecke nutzen wollten.
Und so konnten die Kieler Nachrichten am 8. Mai 1979 mit unverhohlenem Stolz verkünden: „Jetzt hat auch Kiel ein ’Kommunales Kino’. Heute um 20.30 Uhr läuft in der ’Pumpe’, in dem an die 200 Besucher fassenden Kinosaal, der erste Film über die große Leinwand … bis zu fünf Filme stehen täglich auf dem Programm.“ – Das Koki in Kiel war damals laut KN das 136. nichtgewerbliche Kino in der BRD. „Nichtgewerblich“ heißt, es muss keinen Gewinn erwirtschaften, weil es von der Öffentlichen Hand, in diesem Fall von der Stadt Kiel, subventioniert wird und so sein Programm überwiegend nach inhaltlichen Kriterien anstatt nach kommerziellen Zielsetzungen ausrichten kann. Das Programm soll sich also in erster Linie kulturell rechnen, was aber wirtschaftlichen Erfolg nicht zwangsläufig ausschließen muss.
Erstes Koki-Programm, Mai 1979 (Foto: hsch)
Die kulturelle Relevanz rechtfertigte die Subvention, besonders damals in Kiel, da der gewerbliche Kinomonopolist mit seiner Programmgestaltung nicht in der Lage zu sein schien, das öffentliche Bedürfnis nach Filmkunst befriedigen zu können. Aber nicht nur ein anspruchsvolles Film-Angebot war im Kommunalen Kinos vorgesehen. Man sollte und wollte „in einem Alternativprogramm nicht nur ’andere’ Filme anders zeigen, sondern darüber hinaus die Beschäftigung mit dem Film durch Analyse, Diskussion und Information über internationale aktuelle Filmproduktionen ermöglichen“, zitierten die KN aus einem Grußwort namens des Magistrats von Kulturdezernent Otto Balzersen und erwähnte daneben den Deutschen Städtetag mit seiner Empfehlung, die Filmarbeit als Teil des kommunalen und kulturellen Leistungsangebot zu begreifen.
Unverkennbar der Rechtfertigungsdruck der Politik, der hier zwischen den Zeilen zum Ausdruck kommt. Schließlich subventionierte man ja mit Steuermitteln nicht ohne Risiko eine Konkurrenz, die der ohnehin schon um ihre Existenz ringenden Kinobranche wirtschaftlich schaden könnte. So gaben sich die beiden Filmclub-Vorständler Hauke Lange-Fuchs (auch Vorsitzender des Trägervereins der Pumpe) und Gesa Rautenberg alle erdenkliche Mühe festzuhalten, dass es in Kiel keinen „Kinokrieg“ geben werde. Hauke Lange-Fuchs zitierte dazu aus einem Forschungsbericht: „Partnerschaft zwischen dem gewerblich und dem nichtgewerblich Kino wird dem deutschen Film mehr Nutzen bringen als Marktgegnerschaft.“
Von Partnerschaft zwischen Scepanik-Filmtheater-Betrieben und dem Kommunalen Kino Kiel möchte ich nicht reden. Aber immerhin machte der unbestreitbare große Erfolg des Kommunalen Kinos Klaus Scepanik nachdenklich und bewog ihn dazu, das „Regina“ ab 10. Februar 1980 als Programmkino zu führen. Das „Regina“ hatte nun ein festes Monatsprogramm und zeigte bis zu sieben Filme pro Woche auf vier täglichen Programmplätzen.
Über 15.000 Besucher im „Regina“ in den ersten sechs Wochen (trotz des Kommunalen Kinos) zeugen vom großen Nachholbedarf eines überwiegend studentischen Publikums am europäischen Autorenfilm, an anspruchsvollen US-Produktionen, an populären Unterhaltungsfilmen aus den 60er und 70er Jahren und kleinen Reprisen wichtiger Werke der Filmgeschichte.
Zweites KoKi-Monatsprogramm Juni 1979, erstmals mit Themenschwerpunkten (Foto: hsch)
Dem Kommunalen Kino in der Pumpe gelang es, die durch die Monopolstruktur verkrustete Kieler Kinolandschaft ein erstes Mal aufzubrechen und durch die Frischluftzufuhr mit über lange Zeit in Kiel so gut wie unbeachteten Werken des nationalen und internationalen Filmgeschehens wiederzubeleben. Ein zweiter Schritt in eine lebendige Kieler Kinolandschaft erfolgte mit dem Ende des gewerblichen Kinomonopols durch die Eröffnung des CinemaxX-Multiplexkinos von Joachim Flebbe am Kieler Hauptbahnhof und in der Folge mit dem Entstehen der unterschiedlichen Arthouse-Kinos. Allen voran, noch vor Eröffnung des CinemaxX, das Traumkino im Grassweg. Als letzten Schritt kann man die Entdeckung der unabhängigen FilmemacherInnen aus Kiel und Schleswig-Holstein durch das hiesige Kino sehen.
Zum Schluss noch zwei Dinge, die zeigen, mit welch bewunderungswürdiger Einstellung das Kommunale Kino in der Pumpe seine Pionierarbeit für den wertvollen Film und eine cineastische Bildung ohne Rücksicht auf kleinliche Verluste vorantrieb. Eine vierteljährige Mitgliedschaft zum Kino kostete 3 DM, mit dieser Mitgliedschaft jede Eintrittskarte 1,50 DM, ohne 3 DM.
Und zur anfänglichen Vorführsituation ein Zitat: „Dr. Hauke Lange Fuchs (…) und Dr. Gesa Schütz-Rautenberg, beide seit langem engagiert im Vorstand und im Wirken des Kieler Film-Clubs, freuen sich über die recht zufriedenstellende technische Ausstattung des Kommunalen Kinos mit einer 35mm-Apparatur (’Haben wir dem Land zu verdanken’) … Ein zweites Großgerät [das zur unterbrechungsfreien Vorführung eines jeden 35mm-Films, der länger als 60 Minuten war, unbedingt von Nöten war – Anmerkung des Verfassers] ließ sich noch nicht beschaffen, weshalb in jeder Vorstellung eine Unterbrechung hingenommen werden muss.“ (KN, 8.5.1997)
Liebes Kino in der Pumpe / Kommunales Kino Kiel, liebe Programmgestalter*innen und andere Mitarbeiter*innen, herzlichen Glückwunsch zum 40-jährigen Kino-Geburtstag! (Helmut Schulzeck)
Cookie Consent mit Real Cookie Banner