23. Filmfest Schleswig-Holstein 2019 – Begleitprogramm LUSCHERN

Die Physiognomie eines Viertels

„Gaarden – wir geh’n als Sieger aus der Schlacht“ (D 1998, Antje Hubert)

Antje Huberts Filme sind oftmals Streifzüge durch Lokales, sind einfühlsame, allemal sympathisierende Blickcollagen auf und in Randfragmente im Strom der Gesellschaft. Es sind Reisen in den Kosmos des Kleinen: Feuerwehrkapellen, Tante-Emma-Läden, die Träume und Sorgen von willensstarken Dorfgemeinden. Abseits von Gentrifizierung, Internet-Trends und dem Fokus aufs Maximale, könnte man vielleicht etwas vorschnell annehmen.
Schon ihr erster Film „Gaarden – Wir geh’n als Sieger aus der Schlacht“ von 1998 setzt genau dort an und führte diese besondere Disziplin der Beobachtung des randständigen Alltags gewissermaßen zur Perfektion.
Verschrien als sozialer Brennpunkt, Problemviertel, gar Ghetto: Gaarden haftet immer noch der Ruf des Verruchten an, ist nach wie vor ein wenig verpönt und gemieden, wenn Zuziehende nach Wohnungen fahnden. Die letzte überregionale Aufmerksamkeit wurde dem Stadtteil durch die Tatort-Folge „Borowski und die Kinder von Gaarden“ zuteil. Immerhin. In Huberts Film wird der Bezirk mit wohlwollendem Duktus charakterisiert, ohne dass der Dokumentarfilm auch nur daran denken würde, eine bewusste Korrektur dieses Bildes vornehmen zu wollen. Er will weder distanzierte Abrechnung sein, noch verklärte Liebesbekundung, sondern einen möglichst authentischen Einblick in das geschichtsträchtige Viertel gewähren – und ist gerade deswegen liebevoll, lehrreich und aufrichtig herzlich.
Der Kieler Stadtteil mag seit weit mehr als 100 Jahren nun schon kein Dorf mehr, sondern offizieller Kieler Stadtteil sein, durch Huberts Film aber erhält man immer wieder den Eindruck, es handele sich eigentlich um eine Gemeinde, die nach ihren ganz eigenen Regeln in ihrem ganz eigenem Tempo lebt. Zu verdanken ist dieser Effekt der Auswahl ihrer Protagonist*innen, die zwischen Klönschnack, nachdenklicher Rückbesinnungen und elaborierten Bestandsaufnahmen ihre Leben beschreiben und ihre Perspektiven erklären.

„Gaarden – Wir geh’n als Sieger aus der Schlacht“: Regisseurin Antje Hubert stellt eine überarbeitete Fassung vor (Foto: Antje Hubert)

Portraitiert wird eine Vielzahl Gaardener, die mal nostalgisch, mal zeitkritisch, mal besonnen, mal stolz zu Wort kommen und zu ihren alltäglichen Orten begleitet werden – auf Marktplätze und Straßenbänke, an den Kai, auf den Sportplatz, an den Kneipentresen und in die eigenen vier Wände. Nach und nach offenbart der Stadtteil so seine Vielfalt: Ein feixendes, 83-jähriges Ur-Gestein, das nicht nur mit seiner traditionsreichen SPD-Mitgliedschaft, sondern mit der zurückliegenden Boxkarriere prahlt. Ein türkischstämmiges Mädchen, das von Träumen und Hindernissen berichtet. Halbstarke Mitglieder selbsternannter Gangs, die selbstbewusst, aber auch voll Zukunftsangst von Hemmschuhen, Vorurteilen und Rivalitäten erzählen. Ein Hobby-Chronist, der Stadtarchäologie betreibt, indem er alte Steine ausgräbt und in seinem Keller lagert. Letzterer erinnert immer wieder daran, dass Gaarden nicht nur massiv vom Krieg zerstört wurde, sondern auch als Produktionsstätte für die damalige Marine fungierte. Diese und noch einige weitere Personen geben Gaarden ein ausdrucksstarkes Gesicht. Manchmal werden die Menschen sich der Gegenwart der Kamera bewusst, und sie beginnen gar, mit ihr zu spielen. Doch scheint sie im nächsten Moment wieder völlig vergessen, wenn sie sich ihr im Plauderton anvertrauen. Der Film lässt einem Nebeneinander von Generationen und Subkulturen Raum, sich zu entfalten, während auf subtile Weise klar wird, dass hier kein Kreis nur für sich existiert, sondern die zahllosen Detailansichten mit scheinbarer Leichtigkeit zu einem stimmungsvollen Mosaik zusammengesteckt werden.
Dass „Gaarden – Wir geh’n als Sieger aus der Schlacht“ nun 21. Geburtstag feiert, trägt noch einmal gesondert zur Seherfahrung bei. Es handelt sich einerseits nach wie vor um einen aktuellen Blick in den Mikrokosmos dieses Stadtteils, andererseits ist es aber auch eine diachrone Erfahrung, die aufzeigt, wie schnell und folgenschwer sich auch vermeintlich unmerkliche Wandel vollziehen – und damit letztlich unterstreicht, wie lebendig Kiels wohl facettenreichster Stadtteil war, ist und fraglos weiterhin sein wird. Weder muss man sich für Kiel noch für Gaarden oder eine Zeit, in der Vokuhilas großes Ansehen genossen, interessieren, um diesen Film ins Herz zu schließen. Man muss ihn einfach nur schauen. (Martin Ramm)
„Gaarden – wir geh’n als Sieger aus der Schlacht“, D 1998, 83 Min., Regie & Konzept: Antje Hubert, Kamera: Antje Hubert, Schnitt: Kai Zimmer, Ton: Christiane Breitfelder, Fredo Wulf, Produktion: Antje Hubert
Der Film läuft im Rahmen von „LUSCHERN vor dem Filmfest“ am So, 5.5., 16 Uhr und am Mo, 6.5., 18:30 Uhr im Kino in der Pumpe.

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