69. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2019

Der Abschied von Dieter Kosslick

Der Wettbewerb der diesjährigen 69. Berlinale wurde mehr oder weniger überschattet vom Abschied des langjährigen Festivalleiters Dieter Kosslick. Ein trauriges Grundrauschen war trotz aller bemühten Dur-Akkorde unüberhörbar. Man fühlte sich an den Abschied von Kosslicks Vorgänger Moritz de Hadeln erinnert, der auch kein glücklicher war. Beide Direktoren hatten den Zenit ihres Ansehens als erfolgreiche Festivalmacher überschritten und sich nicht rechtzeitig aus eigenem Antrieb von der Berlinale getrennt. Beide Male spielte die deutsche Regisseur-Szene eine notwendige, wenn auch undankbare Rolle. Wurde de Hadeln vorgeworfen, er würde in seiner Programmauswahl zu sehr dem Mainstream aus Hollywood huldigen und zu wenig für die deutsche Filmszene tun, so hielt man Kosslick immer mehr vor, dass ein stetig wachsendes, ja quantitativ überbordendes Programm mit einem häufig die Grenze des Belanglosen streifenden Wettbewerb kein Ersatz für die cineatischen Highlights des internationalen Festivalzirkus’ sein könne, die sich lieber in Cannes und Venedig aalen als in Berlin zu frösteln.
Eines war jedenfalls schon bald klar, Kosslicks Karriere als „Mister Berlinale“ würde keine wie auch immer geartete Verlängerung erfahren, auch nicht als eine Art „Berlinale Elder Statesman“, wie von ihm zu Beginn der Diskussion noch erhofft.
Festivaldirektor Dieter Kosslick (2. v.l.) mit der Internationalen Jury bei der Preisverleihung (Foto: Richard Hübner)
Zwar bemühten sich besonders die Gäste des Wettbewerbs, Kosslick in Dankbarkeit und Zuneigung mit seinem Image als spaßiger Freund aller Filmleute und herzlichem Gastgeber der offiziellen Festival Community noch einmal zu feiern. Seine Verdienste für Wandel und Ausbau des Festivals wurden hervorgehoben. Ebenso sein Einsatz für die internationale Kinematografie. Unbestreitbar ist auch sein nicht nachlassendes Bemühen, Position und Sichtbarkeit des deutschen Films auf diesem großen internationalen Filmfestivals zu beleben und zu erhalten. So war denn auch die sympathische Würdigung und Ehrenbezeugung für den Gute-Laune-Entertainer durch die Wettbewerbs-Jury während der Preisverleihung im Festivalpalast angebracht und bleibt unvergessen. Dennoch wirkten all die ergebenheitsvollen Abschiedsadressen und wohlfeilen Solidaritätsbekundungen eher wie Schönwetterfassaden und nur bedingt authentisch. Denn, wie eingangs erwähnt, wirklich ungetrübt war dieser Abschied nicht. Dazu war im Vorfeld zu viel Porzellan zerschlagen worden.
Ende 2017 hatte sich die Diskussion um eine Nachfolge in der Berlinale-Leitung zur Skandalisierung von Kosslicks Festivalpolitik ausgewachsen. 79 deutsche Regisseure forderten in einem offenen Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grüters eine Reform der Berlinale. DER SPIEGEL deutete aber das Ansinnen der Filmemacher als Generalkritik an Kosslick (andere Medien folgten ihm genüsslich nach), wobei nicht auszuschließen war, dass trotz aller gegenteiligen Bekundungen eine entsprechende Absicht der Filmemacher nicht unbedingt von der Hand zu weisen war, litt doch in den letzten Jahren unter Kosslicks Ausrichtung der Ruf des Wettbewerbs beträchtlich. Nach Ansicht vieler Kritiker und Cineasten liefen die besten Filme und positiven Aufreger oftmals nicht im Wettbewerb, sondern in den Nebenreihen. Und das Festival in Gänze verwandele sich jedes Jahr mehr und mehr in ein nur noch schwer überschaubares Nebeneinander von einzelnen Programmsektionen, in dem zuletzt sage und schreibe 400 Filme in über 40 Kinos zu sehen waren.
Oberflächlich betrachtet wurde man Zeuge einer letzten Runde vor dem Wechsel zu Kosslicks Nachfolgern, dem künstlerischen Leiter Carlo Chatrian und der Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek. Routiniert und freundlich erledigte der scheidende Chef sein tagtägliches „Geschäft“ als Programmverantwortlicher und Gastgeber der Berlinale. „Bis zu 20 offizielle Termine hat Kosslick pro Tag, von der Morgenlage um neun über Interviews, dem Dining Club und Berlinale-Kamera-Verleihungen bis zur späten Special-Gala“, weiß Der Tagesspiegel zu berichten, und umreißt eingangs eines Artikels dessen Tätigkeitsfeld mit den Worten „zwischen Kanzleramt und Plausch mit Hollywoodstars“.
Und Reiner Veit von Radio Berlin Brandenburg führt eindeutig die Symptome für Kosslicks Dilemma vor Augen: „Mit einer soliden und wenig spektakulären Ausgabe hat sich der scheidende Direktor Dieter Kosslick von seiner Berlinale verabschiedet. Wie oft in den vergangenen Jahren erweckte er dabei den Eindruck, dass der Festival-Leiter viel wichtiger ist, als es die Festival-Filme sind – und der rote Teppich sowieso das Maß aller Dinge ist. Auch wenn in den letzten 18 Jahren immer weniger große Namen über den Teppich schritten und Kosslick selbst häufig den Part des stets nahbaren Berlinale-Stars übernahm – es waren und sind noch immer die Medien, die ihn genauso inszenieren: Dieter hier, Kosslick dort, Dieter Kosslick überall.“
Dieter Kosslicks lange Zeit in Berlin, als Showtalent für Vermisstes herhalten zu müssen, nein, zu dürfen, nämlich für „das ganz große Kino“ und die echten Filmstars, ist abgelaufen. Mit zeitlichem Abstand werden viele deutlicher als heute erkennen, dass seine Verdienste für die Berlinale seine Versäumnisse bei weitem überwiegen. (Helmut Schulzeck)
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