Sichtbarkeit und Community

Lesbisch Schwule Filmtage Hamburg 2018

Sechs Tage, 120 internationale Filme, 15.500 Gäste. Die Lesbisch Schwulen Filmtage Hamburg mögen zwar unter den Filmfestivals in der Hansestadt nur die Nummer zwei sein, dafür sind sie aber das größte Filmfest für queeren Film in ganz Deutschland. Und vor allem auch das älteste, denn dieses Jahr fanden die LSF bereits zum 29. Mal statt. 1989 entwickelte sich die erste kleine Festivalauflage aus einem Universitäts-Seminar zu „Homosexualität im Film“.
Das war zu der Zeit ein ziemliches Exoten-Thema. Schließlich hatten lesbische und schwule Figuren im Film nach Hays-Code und Zweitem Weltkrieg über Jahrzehnte hinweg einen ganz schweren Stand. Entweder, es gab sie schlichtweg gar nicht. Oder aber man musste sie mühsam in Nebenhandlungen und Subtexten aufstöbern. Eigenständige (Liebes-) Geschichten, vielleicht sogar mit einem glücklichen Ende, das gab es kaum. Übermäßig viele homosexuelle Charaktere erlebten nicht einmal das Ende der Geschichte. Überspitzt gesagt galt lange Zeit: Hauptsache, die moralische Ordnung war pünktlich zum Abspann wieder hergestellt, Katharsis olé.
Still aus dem Eröffnungsfilm „Rafiki“ (Foto: Salzgeber)
Sichtbarkeit zu schaffen für queere Geschichten und Filmschaffende, die sich nun einmal besonders häufig mit diesen Themen auseinandersetzen, war und ist auch heute noch Hauptanliegen der LSF. Es ist ein Festival für die Community und wäre im Gegenzug auch ohne den hohen Einsatz der bestens vernetzten und aktiven schwul-lesbischen Gemeinschaft in dieser Größe undenkbar. Das rund 20 Personen starke Kernteam arbeitet überwiegend ehrenamtlich, 350 Fördermitglieder unterstützen das Festival finanziell, ganze 450 Freiwillige packen vor und während der Filmtage persönlich mit an.
Möglichkeit zum Austausch abseits der Filmveranstaltungen bietet vor allem die After-Show N8bar, die jedes Jahr mit besonders viel Aufwand an einem neuen Ort in der Stadt organisiert wird, dieses Jahr auf dem Messegelände. Die Abende dort beginnen immer mit einen moderierte Talktresen, bei dem internationale Filmemacherinnen und Filmemacher zu Wort kommen und geht dann über in eine Party bis in die Morgenstunden.
Zwei Filme aus dem Festivalprogramm möchte ich im Folgenden besonders empfehlen, das US-Drama 1985 sowie den schwedischen Kurzfilm JUCK. Dabei handelt sich um meine persönlichen, subjektiven Favoriten aus dem kleinen Ausschnitt des Festivalprogramms, das ich gesehen habe.
1985
von Yen Tan, USA 2018
Nach drei Jahren in New York kehrt Adrian zu seiner Familie nach Texas zurück, um mit ihr Weihnachten zu feiern – es wird das letzte Mal sein. Seinen Partner hat er bereits an AIDS verloren, auch bei ihm zeigen sich bereits erste Symptome. Und so möchte er Abschied nehmen von seiner religiös-konservativen Familie, die nichts von Adrians Homosexualität weiß.
Der nahende Tod gibt dem schon so oft erzählten Coming-Out-Konflikt eine besondere Schwere und Dringlichkeit. Mit gleich zwei großen Geheimnissen, schwul und todkrank, kehrt Adrian zurück in die vermeintlich heile texanische Vorstadt-Welt, in die er schon längst nicht mehr gehört. Aber er ist nicht der einzige: Nach und nach entblättern weitere Figuren ihre Geheimnisse. Der ruppige Vater, die beste Freundin aus Jugendzeiten, selbst die warmherzige Mutter, sie alle haben etwas zu verheimlichen. Der malaysische Regisseur Yen Tan entschied sich 1985 auf 16mm Film zu drehen und unterstreicht mit den körnigen Schwarz-Weiß-Bildern die melancholische Grundstimmung der Handlung zusätzlich. Sehr sehenswert, genau wie die eindringliche Darstellung von Cory Micahel Smith als Adrian.
Still aus „1985“ (Foto: Visit Films)
JUCK
von Olivia Kastebring, Julia Gumpert, Ulrika Bandeira, Schweden 2018
Plötzlich taucht die Gruppe junger Frauen in der U-Bahn oder auf öffentlichen Plätzen auf und zieht die Blicke der Passanten auf sich. Wer angesichts ihrer Schulmädchenuniformen nun aber auf eine niedlich-brave Darbietung hofft, wird schnell enttäuscht. Wenn sie beginnen, rhythmisch mit ihren Becken zu pumpen – das schwedische „juck“ lässt sich in etwa mit stoßen oder stechen übersetzen – ist von mädchenhafter Unschuld keine Spur. Stattdessen strahlen die sechs Frauen mit jeder Pore Stolz, Mackerigkeit und Aggression aus.
JUCK porträtiert die gleichnamige Bewegung einer Gruppe feministischer Aktivistinnen, die mit ihren Performances im öffentlichen Raum die Erwartungen an weibliche Körper und Sexualität in Frage stellen. Mit einem viralen Video im Jahr 2013 machten sie auch über Schweden hinaus auf sich aufmerksam.
Die 17-minütige Mischung aus Dokumentation und Musikclip entwickelt eine immense Energie. Die Tanzszenen in der Öffentlichkeit und die Reaktionen der Passanten werden montiert mit sehr gelungenen Slow-Motion-Aufnahmen einer Studioperformance, perfekt geschnitten auf den treibenden Elektrosoundtrack.

Ausgezeichnete Filme:

Jurypreis:
  • ROOM FOR A MANvon Anthony Chidiac, Libanon/USA 2017
Publikumspreise:
  • Bester Langfilm: MY DAYS OF MERCY von Tali Shalom-Ezer, UK/USA 2017
  • Beste Dokumentation: THE 34TH von Linda Cullen und Vanessa Gildea, Irland 2017
Kurzfilmpreise:
  • Schwul: MALIK von Nathan Carli, Frankreich 2018
  • Lesbisch: GRACE AND BETTY von Zoe Lubeck, USA 2016
  • Genderbender: RANI von Hammad Rizvi, Pakistan 2018
  • Made in Germany: SCHEIDEWEG von Arkadij Khaet, Deutschland 2017
(Britta Voß)
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