Während unsere Retro-Reihe über die Filmbriefe der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein eine Sommerpause macht, wollen wir an dieser Stelle eine zweite filmhistorische Reihe starten, die in loser Folge lokale und regionale Film- und Kinogeschichte aus den „kinematographischen Erinnerungsarchiven“ erzählt.

Blick in die kinematographischen Erinnerungsarchive (1): „Marlowski“

Seit einiger Zeit wird verstärkt über die Bewahrung des filmischen Kulturerbes diskutiert. Gemeint ist damit vor allen Dingen die Digitalisierung der „analogen“ Bestände der Filmarchive in Deutschland. So bemüht sich z.B. die Initiative „Filmerbe in Gefahr“ die akuten Probleme der Filmarchive stärker ins Bewusstsein rufen. Die Verantwortlichen in Bund und Ländern sollen bewegt werden, die dauerhafte Sicherung des deutschen, filmischen Kulturerbes und seine zügige Digitalisierung stärker zu fördern sowie den Zugang zur Filmgeschichte im Kino und im Internet zu erleichtern. In diesem Zusammenhang stellt sich auch den Verantwortlichen in Schleswig-Holstein die Frage, ob es bei uns Filme aus hiesiger Produktion gibt, die digital erhaltenswert sind, um nicht gleich mit einem bedeutungsschwangeren Begriff wie „Filmerbe Schleswig-Holstein“ ins Haus zu fallen.
Natürlich lässt sich diese Frage bejahen, und dem Kundigen fallen sofort einige Titel ein, auf die an späterer und anderer Stelle ausführlich einzugehen sein wird. Hier soll ein eher randständiger, aber gleichwohl möglicher Kandidat vorgestellt werden, der die Grenzen zum Unsinnigen hingabevoll auszuloten scheint, auf der anderen Seite doch anarchisch mit kindlicher Freude sich an einem (in diesem Fall eingenordeten) Film-Genre mit einem erstaunlich reichhaltigen Reservoir an Schnacks und Sprüchen abarbeitet, ohne Rücksicht auf eine sich kaum entwickelnde Handlung zu nehmen. Ein seltenes Beispiel für einen längeren No-Budget-Film vom hiesigen Filmnachwuchs zu jener Zeit, bei dem Hingabe und Engagement die in Schleswig-Holstein nicht vorhandene filmische Infrastruktur ersetzen sollen, und der deshalb mehr als ein längerer Studentenulk ist, eher ein unfreiwilliges, aber um so unterhaltsameres Abbild der seinerzeit bestehenden Verhältnisse für filmische Nachwuchskräfte in Schleswig-Holstein.
Die Rede ist von einem Kieler Spielfilm von Thomas Fehrke (Buch, Regie, Produktion, Kamera und Nebenrolle) und Dirk Stangenberg (Buch, Produktion, Ton und Nebenrolle), der schon 1987 während der Dreharbeiten und dann mit der Kinoauswertung 1988 für einige Zeit in der Landeshauptstadt von sich reden machte: „Marlowski“. Noch ohne institutionelle Filmförderung, denn die kam ja für Schleswig-Holstein bekanntlich erst als Kulturelle Filmförderung ab 1990, aber mit tatkräftiger Unterstützung der Arbeitsgemeinschaften im Studentenwerk Schleswig-Holstein, die nicht nur das Equipment stellten, und vieler anderer, wurde dieser auch von seiner inhaltlichen Qualität nicht gerade als A-Movie aber dennoch besonders im Kieler Umfeld durchaus als kultig und unterhaltsam zu klassifizierende No-Budget-Film realisiert.
DVD-Hülle von „Marlowski“
Die Titelrolle dieser in Schwarzweiß auf 16 mm gedrehten, im Stil einer Schwarze-Serie-Parodie inszenierten „Philipp-Marlow-Persiflage“ spielte der Bruder des Regisseurs, Matthias Fehrke. Drehorte im Sommer 1987 waren unter anderem die Hansastraße 48, das Fördeufer hinter dem Landtag und der Strand von Schilksee. Jeder aus der eigentlich gar nicht tatsächlich vorhandenen jungen Filmszene wollte mitmachen bzw. mitspielen. Naja, es gab schon die Filmer aus der Film AG und der Video AG im Studentenwerk und die Leute rund um die Super-8-Filmtournee UNTERWEGS. Aber von so einem „großen“, umfangreichen Projekt wie „Marlowski“ konnte man normalerweise nur träumen. Es fehlte im Allgemeinen an materiellen und finanziellen Produktionsmitteln. So musste man sich meist mit kurzen Übungsfilmchen auf 16 mm oder den bei „wirklichen“ Filmern verpönten Videofilmereien begnügen oder setzte auf das beliebte und hier im Lande sehr erfolgreiche Super-8-Format.
Wie Thomas und Dirk die Produktion auf die Beine gestellt hatten, blieb den meisten, den Autor dieser Zeilen (der die Rolle eines Spanners in zwei kleinen Szenen bekleiden durfte) mit eingeschlossen, ein Rätsel (vgl. unten stehende Anmerkung). Ebenso woher Thomas Fehrke mit scheinbarer Selbstverständlichkeit die Attitüde eines Filmregisseurs hernahm, gleichzeitig auch noch die Kamera führte und mitspielte, wo er doch unseres Wissens zuvor nur einen Kurzfilm gemacht hatte. Der 60-minütige Film lebt weniger von seiner sehr abwegigen, ja absurden Geschichte, in der Privatdetektiv Marlowski vor dem Hintergrund einer allgemeinen Terrorismus-Hysterie, die vor allem „gut aussehende Frauen“ zu Terroristinnen abstempelt, seine spurlos verschwundene Sekretärin sucht, noch von spannender Action. Vielmehr amüsiert das vom Marlowski aus dem Off sehr schnodderig vorgetragene Selbstbildnis eines Quartalssäufers und Frauenhelden und seine Sicht auf das Geschehen über weite Strecken.
Von Anfang an nimmt der Film sich nicht ganz ernst, sondern zieht das Schwarze-Serie-Genre mit seinen Manierismen und Figuren lässig durch den Kakao. So strotzen die Dialoge und die Off-Erzählung nur so von mehr oder weniger gag-haften Sprüchen, die in ihrer provozierenden, witzigen Lümmelhaftigkeit und durch aktuelle Anspielungen das laienhafte Spiel der Nebendarsteller*innen und die immanente Geschwätzigkeit der Erzählung vergessen lassen. Die atmosphärische Rahmung durch den schwarz-weißen Schauplatz Kiel inklusive der in den Nebenrollen auftauchenden szene-bekannten Darsteller sowie die lokal zündenden Gags tun ein Übriges, dass der Film damals in der Landeshauptstadt einen gewissen Kultstatus gewann. Wobei man ihm auch witzige Details zuschrieb, die nur Kieler zu goutieren wussten. Das fing schon beim Namen der Titelfigur an, der nicht nur auf die im Film „Malteser Falke“ von Humphrey Bogart verkörperte Figur des Privatdetektivs Philipp Marlow anspielte, sondern auch dem bekannten Kieler Schlüsseldienst Makowski entliehen zu sein schien.
Der Film stellt trotz aller möglichen Kritik, die ihm zum Beispiel pure Seichtheit attestieren mag, ein in seiner Art bemerkenswertes Unikat zumindest in Schleswig-Holstein dar. Auch sind Mut und Selbstvertrauen seiner Macher hervorzuheben. Summa summarum ein Filmdebüt mit einem aufmerksamen Echo in Kiel, wenn auch schon mittelfristig folgenlos. „Marlowski“ blieb der einzige Film des Duos Fehrke-Stangenberg. Und auch für den Hauptdarsteller Matthias Fehrke begann mit seinem Spiel nicht eine wunderbare Schauspielerkarriere. Aber immerhin konnte er später noch einen Nutzen aus dem Titel des Films bzw. dem Namen seiner Hauptfigur ziehen: Von August 2011 bis März 2017 gab er ein für Kiel gedrucktes, mit Anzeigen finanziertes „Stadtmagazin für Männer“ heraus. Dessen Titel: „Marlowski“. (Helmut Schulzeck)
Anmerkung:
„Mein Bruder wollte sich an der Filmhochschule bewerben und hat daher zusammen mit seinem Freund Dirk Stangenberg ein Drehbuch geschrieben und den Film gedreht, in dem ich die Hauptrolle gespielt habe. Der Film lief dann in einigen Programmkinos. Hier in Kiel vor allem im Regina, wo er auch reichlich Zuschauer angezogen hat. Aufgrund seines Lokalkolorits kam der Film damals wirklich gut an und wenn man sich auf die schwachsinnige Story eingelassen hat, hat er viel Spaß gemacht.“ (Matthias Fehrke in seinem Printmagazin „Marlowski“ Nr. 50, September 2015, Seite 17)
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