Steiler Aufstieg, tiefer Fall

(Karl Siebig und Bernd Soffner, D 2018, 70 Min.)

„Ich wurde zum Superstar befördert“, erinnert sich Ulli Martin (bürgerlich: Hans Ulrich Wiese), der mit „Monika“ und „Ich träume mit offenen Augen von dir“ in den 70er Jahren zwei Top-Ten-Hits landete. Doch der Stern des von Leo Leandros entdeckten und später von Ralph Siegel gemanageten Sängers, der vorher eine Schauspiel- und Gesangsausbildung genossen hatte, fiel so schnell, wie er aufgestiegen war. Heute kennt ihn kaum noch jemand. Er lebt nach Depressionen und Alkoholsucht in einem Pflegeheim in Bad Bramstedt. Der Kieler Filmemacher Karl Siebig und Bernd Soffner porträtieren ihn in der 70-minütigen Doku „Ulli Martin – Was vorher war, das zählt nicht mehr“, die am 17. Mai 2018 im Kieler Traumkino uraufgeführt wird.
Steiler Aufstieg und tiefer Fall sind in der „von Haifischen beherrschten Glitzerwelt des Schlagers“ (Siebig) nicht selten. Warum also gerade Ulli Martin als Protagonist? Sein Freund Bernd Soffner, Sozial-Betreuer Martins, hatte Siebig gefragt, ob man über Ulli nicht einen Film machen sollte. Siebig zweifelte zunächst, dachte dann aber an sein dokumentarfilmerisches Credo: „Wenn Menschen in extreme, existentielle Situationen geraten, seien es positive oder negative, kommt der Kern ihrer Person zum Vorschein.“

Mal depressiv, mal kreativ: Ulli Martin träumt vom späten Comeback. (Foto: Karl Siebig)
Zwei Jahre lang begleiteten die Filmemacher Martin, ließen ihn erzählen, brachten ihn mit den alten Kollegen Tex Harper und Tony zusammen, und zeigen, wie Martin auch mit 71 Jahren gegen alle Kränkungen und Katastrophen immer noch von einem Comeback mit nun selbst geschriebenen Songs träumt. „Ich habe ein Näschen für Hits“, weiß Ulli, hat auch einige Demos aufgenommen, aber wie einst „kein glückliches Händchen, das in klingende Münze umzusetzen“. Mit gut acht Millionen verkauften Platten floss das Geld zwar reichlich, doch das meiste landete in den Taschen der Produzenten, die ihn so schnell fallen ließen, wie sie ihn berühmt gemacht hatten. Oder war von Ulli Martin, der nach eigener Auskunft „immer an die Hand genommen werden musste“, im Erfolgsrausch schnell wieder ausgegeben.
Dabei war Ulli Martin künstlerisch durchaus talentiert. „Er gehörte zu den wenigen in der Schlagerbranche, die wirklich singen konnten“, erinnert sich Tony und lobt das „Vibrato-Timbre“, das seine Stimme besonders romantisch machte. „Doch das hat mir nichts genützt, weil ich mich nie gut verkaufen konnte“, ergänzt Martin. „Die freischaffenden Künstler sind die letzten Abenteurer in diesem Land“, weiß zudem Tony. Sie seien sozial kaum abgesichert, wie man jetzt an Ulli Martin sehe, der lediglich ein Tasschengeld von 100 Euro im Monat bekomme, weil er sich um Alterssicherung nie gekümmert habe, geschweige seine ehemaligen Manager und Produzenten.
So ist der Film nicht nur ein sensibles Porträt eines Gescheiterten, der seinen kreativen Drang trotz alledem nie verlor, sondern auch Kritik an einem Showbiz, das damals wie heute Menschen und ihre Kunst zur bloßen Ware macht und hemmungslos ausbeutet. (jm)
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