22. Filmfest Schleswig-Holstein 2018

Geschichten über Kriegskinder und ihre Eltern

Moritz Boll gewann mit „Abgetaucht“ den Kurzfilmpreis beim Filmfest SH

Der Kieler Jungfilmemacher Moritz Boll läuft einem beim Filmfest SH dauernd über den Weg, sei es als einer der Moderatoren der das Filmfest in Interviews mit fast allen Filmemachern begleitenden Filmkultur Lounge oder mit gleich zwei Kurzfilmen über nicht ganz leichte Eltern-Kind-Beziehungen. Für „Abgetaucht“, der bereits beim Mitteldeutschen Filmfest „Kurzsüchtig“ in Leipzig den Publikumspreis gewann, verlieh ihm die Jury den von der PSD-Bank gestifteten und mit 2.000 Euro dotierten Kurzfilmpreis.
Preisträger und Team (v.l.: Daniel Krönke (Filmkultur SH), Arne-Sommer (Filmwerkstatt Kiel), Adrien Pavie und Britta-Potthoff („Mein Vater, der Fisch“), Moritz Boll („Abgetaucht“), Kay Gerdes („Nach dem letzten Schuss …“), Jörg Bercher (PSD-Bank), Christoph Zickler (Filmkultur SH) – Foto: Lorenz Müller)
Schon in Bolls am Freitag gezeigten Drei-Minüter „Null Komma Sieben“ gerät eine feuchtfröhliche Geburtstagsfeier zweier Mütter etwas aus dem Ruder, weil ihre Söhne heimlich mitfeiern. Noch schwieriger ist die Beziehung zwischen Vater (Marko Gebbert) und Tochter (Ghisele Ghaskin) in „Abgetaucht“. Sie machen Abenteuerurlaub in einem Wohnwagen im Wald. Doch etwas stimmt nicht an diesem kleinen Idyll. Wo ist die Mutter, wann kommt sie wieder?, fragt sich das Kind, erhält aber nur ausweichende Antworten vom Papa. Auf eine geheimnisvolle Insel sei sie verreist, wo man sie auch nicht anrufen könne. Will so der Vater verheimlichen, dass sie gestorben ist? Oder hat er die Tochter nach einem Rosenkrieg entführt? „Wir haben das bewusst offen gelassen“, sagt Moritz Boll, der „von einer realen Geschichte einer Mutter über eine Kindesentführung so berührt“ war, dass er daraus einen Film „aus der Perspektive von Vater und Tochter“ machen wollte. Die Jury lobte, dass der Film „dank der Vielzahl stimmiger Details eine größere Geschichte erzählt, als in seinen 15 Minuten gezeigt wird. Der Zuschauer findet sich schnell in die Geschichte ein und wird Zeuge einer Katastrophe, die zu einer Befreiung wird.“ Am Ende nämlich, wo der Vater buchstäblich im Meer abtaucht, „sieht er ein, dass man auf Lügen keine Beziehung bauen kann“, so Boll.
In „Mein Vater, der Fisch“ von Britta Potthoff und Adrien Pavie, der den vom Verein Filmkultur SH gestifteten und mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis für Kurzfilme gewann, ist die Beziehung zwischen dem kleinen Esteban und seinem mit ihm allein lebenden Vater beinahe schon märchenhaft surreal. Die Leiden einer aus dem Fluss (des Lebens) gefangenen Forelle erlebt der Vater am eigenen Leib – eine Metapher für die enge, aber geheimnisvolle Verbundenheit von Vater und Sohn.
Stolze Preisträger in der Filmkultur Lounge (v.l.: Adrien Pavie und Britta-Potthoff („Mein Vater, der Fisch“), Moritz Boll („Abgetaucht“), Kay Gerdes („Nach dem letzten Schuss …“) – Foto: ögyr)
Vom Trauma des 2. Weltkriegs überschattet sind die Eltern-Kind-Enkel-Beziehungen, die Kriegskinder in Kay Gerdes’ und Jess Hansens Doku „Nach dem letzten Schuss ist der Krieg noch nicht vorbei“ erzählen. Der Film, der auf dem Filmfest uraufgeführt wurde, gewann den ebenfalls von Filmkultur SH gestifteten und mit 1.000 Euro dotierten Publikumspreis für Langfilme. Rund zwei Jahre begleiteten die beiden Filmemacher einen Gesprächskreis in der AWO Mettenhof, wo sich – therapeutisch begleitet – in den 30er und 40er Jahren Geborene ihren traumatischen Kriegs- und Fluchterinnerungen stellten. Als einen „Antikriegsfilm, der mit der aktuellen Situation von traumatisierten Flüchtlingen unbedingt zu tun hat“, sieht Jess Hansen das sensible Porträt der Kriegskinder, die bis heute leiden, sowohl unter dem vielfach „eisigen Schweigen“ der (Groß-) Elterngeneration als auch unter dem Verlust von Familie und Heimat. Wie Ängste und Schmerz bis in die dritte Generation reichen und wie man sie aufarbeiten kann, zeigt der Film ungemein berührend. (jm)
„Abgetaucht“ und „Null Komma Sieben“ sowie ein weiterer, ganz neuer Kurzfilm von Moritz Boll sind am 12.5.2018, 18 Uhr im Metro-Kino zu sehen.
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