Aufrichtig und couragiert
„Wildes Herz“ (Charly Hübner, Sebastian Schultz, 2017)
„Wildes Herz“ ist schon mal ein vielversprechender Titel für einen Dokumentarfilm über einen beliebten Punkmusiker und überzeugten Streiter gegen dem Rechtsradikalismus vor allem in Ostdeutschland. Der „Filmheld“ Jan Gorkow, überall nur freundschaftlich „Monchi“ genannt, propagiert mit temperamentvoller Zivilcourage und frecher Zunge sein Anliegen auch dort, wo es nicht gerne gehört wird und er leicht Schwierigkeiten bekommen könnte. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, überzeugt durch Unverstelltheit wie auch „Wildes Herz“ von Meck-Pomm-Schauspieler-Idol Charly Hübner und Sebastian Schultz.
Eingangs sehen wir den Protagonisten „Monchi“, Leadsänger der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ (auch so ein Name mit Gespür für gute Wirkung), bei Gesangsaufnahmen in einem Tonstudio. Völlig ungeniert steht er mit freiem Oberkörper vor dem Mikro im schallisolierten Raum. Ein junger Koloss mit sichtlich weit mehr als 100 kg Körpergewicht, der nun ins Schwitzen kommt. Er bemüht sich leicht angestrengt, den richtigen Ton zu treffen, schafft es aber nur in Maßen, was besonders deutlich wird, weil nur er die Musik hört, wir aber kaum, und wir so seinen Gesang unkaschiert beurteilen können. Auch der Toningenieur am Mischpult ist nicht recht zufrieden.
Er steht für eine der erfolgreichsten Punkbands in Deutschland und in den Augen des Staates „Vorpommerns gefährlichste Band“: Jan „Monchi“ Gorkow. (Foto: Neue Visionen Filmverleih)
Wenn man so will, sieht man hier eine gnadenlose Szene, die völlig unerwartet und ohne Scham den massigen, übergewichtigen Körper des halbnackten „Monchi“ präsentiert. Sie erzählt von einer durchaus intimen Situation, zeigt Monchi nicht gerade attraktiv, könnte ihn sogar bloßstellen und seine vermutbare Verletzlichkeit ausnutzen. Doch der Mann verhält sich so normal wie nur irgend möglich. So als ob nichts wäre. Der Übergang der Szene in einen kurzen Konzertmitschnitt mit demselben Song bei einem mitreißenden Auftritt des Sängers versöhnt dann vollends.
Der ganze Film verfährt nach diesem Prinzip. Nie hält er mit einschränkenden Facetten aus dem Leben „Monchis“ lange hinter den Berg. Die Macher haben wohl sehr bald erkannt, dass das auch nicht möglich gewesen wäre. „Monchi“ entkräftet mögliche Kritik an seiner Person durch die Ehrlichkeit, mit der er zu allem steht, was er ehemals gemacht hat und was heute noch Skeptiker gegen ihn vorbringen könnten. So wird das Charaktermerkmal seiner Aufrichtigkeit, dessen sich auch der Film in Diktion und Einstellung zum Protagonisten bedient, zum bestimmenden Faktor. Wie selbstverständlich steht neben Positivem ja Bewunderungswürdigem auch Bedenkliches, das „Monchis“ ambivalentes Wesen zwischen Courage und narzisstischem Auftreten auszeichnet und dem der Film nachspürt. So trübt keine Spur von Glorifizierung das Authentische an „Monchi“ und dem Film, und das ist wunderbar.
Kolossal lokal: „Feine Sahne Fischfilet“ wissen, dass ihre Heimat schon längst zur Lücke im System geworden ist. (Foto: Neue Visionen Filmverleih)
Der Film streut zwischen Alltag, Konzertvorbereitung und -auftritten „Monchis“ Erinnerungen und Selbstcharakterisierungen, Rückblicke seiner Eltern, der Exfreundin, von Gruppenmitgliedern und WG-Kumpanen ein. So erfahren wir die ungewöhnliche Vita eines 30-Jährigen, die heftige Brüche aufweist, in Konsequenz aber bis dato einen glücklichen Fortgang findet.
Vom Gerechtigkeitsfanatiker schon in Kinderjahren zum Fußballfan, dessen fehlgeleitete Begeisterung für exzessive Gewalt als Hooligan bei Hansa Rostock strafrechtliche Konsequenzen hat, führt „Monchis“ Lebensweg über die Abwendung vom Fußballfanatismus zur Punk-Musik, die bei „Feine Sahne Fischfilet“ gern auch gesellschaftskritische Inhalte transportiert. Zivilcouragiertes Engagement gegen Rechtsextreme und eine radikal freiheitliche Haltung, welche bei Mecklenburg-Vorpommerns CDU-Innenminister Lorenz Chaffier und Verfassungsschutz fragwürdige „Beißreflexe“ evoziert, zeichnen ihn aus.
Dem Film eilt schon jetzt, eine Woche vor dem offiziellen Kinostart, der Ruf voraus, ein Hit zu werden. Ein geschicktes Marketing, das sich auf die ausgewiesene Qualität von „Wildes Herz“ stützen kann, die sich auch in einem knappen halben Dutzend Filmfestival-Preise aus Leipzig und Lübeck niederschlägt, vertraut nicht zuletzt auf Popularität und Zugkraft von „Feine Sahne Fischfilet“ und Dokumentarfilm-Debütant Charly Hübner (nicht nur in Ostdeutschland). Und so ist es nicht gar zu kühn, anzunehmen, dass dieser sehenswerte Dokumentarfilm aus dem Norden einen ähnlichen Erfolg bei Zuschauern und Presse haben könnte wie einst 2007 der Wacken-Film „Full Metal Village“ von Sung-hyung Cho, der mit rund 200.000 Zuschauern Außergewöhnliches für einen deutschen Dokumentarfilm im Kino erreichte. (Helmut Schulzeck)
„Wildes Herz“, Deutschland 2017, 90 Min. Regie und Buch: Charly Hübner, Sebastian Schultz; Kamera: Martin Farkas, Roman Schauerte; Schnitt: Sebastian Schultz; Musik: „Feine Sahne Fischfilet“, Jörg Gollasch; Produzenten: Lars Jessen, Sebastian Schultz; Produktion: Eichholz Film; Verleih: Neue Visionen Filmverleih; Kinostart: 12.4.2018.
Kiel-Preview am 7.4.2018, 20:30 Uhr, Studio Filmtheater am Dreiecksplatz. Anschließend Filmgespräch mit Produzent Lars Jessen.