Ein Hausbesuch bei Kiels berühmtester Eisverkäuferin

Nein, sie wohnt nicht im Kino. Christel wohnt in der Wik und das seit 25 Jahren. Sie lebt auch nicht im Dachgeschoss, auch wenn das viele vermuten. Die Tür geht gleich im ersten Stock auf, ein warmer Händedruck, Jazz aus dem Wohnzimmer. „Häng dich auf“, sagt sie, deutet mit ihrem typisch tiefen Timbre zur Garderobe und bietet einen Kaffee an. Schwupps steht man in der schmalen hellen Holzküche mit Blick auf die zugebaute Mercatorwiese („das war mal „˜ne Kräuterwiese“), lässt den Blick über die Becherparade an der Wand schweifen, auf der ihr „der Mann, über den ich nicht rede“, eine schwarze Skyline auf apricot-farbenem Grund hinterlassen hat. Florale Muster, Verspieltes und im offenen Schrank gegenüber noch die dicken Weihnachtsbecher. „Sammel ich Tassen? Vielleicht unterbewusst.“ Mit Christel prätentiös werden ist nicht. Sie sei „an sich Porzellanfreak“, erzählt sie aber doch später und zeigt eine Meissen-Vase, um 2.30 Uhr nachts bei ebay ersteigert.
Christel ist Christel. Offen, uneitel, bescheiden, vielleicht sogar ein bisschen schüchtern. Und wenn sie gesteht, „eine kleine Rampensau“ zu sein, dann nur um zu sagen: „Es macht mir nichts aus.“ Was sie als Person ausmacht, ist legendär: „Will jemand Eis?“ Wehe, wenn nicht. Dann konnten sich im legendären Programmkino „Regina“ die Pausen vor dem Film etwas hinziehen. Doch dass die blonde Frau mit der rauen Stimme nicht nur Sprüche parat, sondern auch einen weichen Kern hat und vor allem „wollte, dass Menschen sich im Kino wohlfühlen“, das ist heute noch so. „Die Leute denken immer, sie waren schon als Kinder bei mir“, doch natürlich täuscht auch das, denn Kiels berühmteste Eisverkäuferin war in den 80er Jahren „nur fünf, sechs Jahre“ im Regina. Gesucht wurde eine Kassiererin, gemacht hat sie „alles, außer Vorführen“. Das kann sie aber auch. Nach Wechseln in die „Brücke“ und ins MAX (fünf Jahre) war sie kurz in der Kantine im Opernhaus, dann wurde es ruhig um sie. Doch nun ist Christel der gute Geist im Metro. Immer noch mit allen per du, auch mit dem Publikum.
Ob sie selbst Cineastin sei? Der Oscar auf dem Spülkasten im Bad (silberner Toilettensitz) lässt es vermuten. Nee, eine Spielfilmlänge halte sie selten durch. Aber „ich brauche den Saal“. Sie liebe es, „Gefühle zu entwickeln, wie man mit Menschen umgehen muss“, und so macht sie Begrüßungen, Ansagen, dämpft Meckerstimmen, hilft Gebrechlichen, hebt allgemein die Laune.
Die verwitwete Mutter zweier Söhne, deren ältester mit ihr in der Wohngemeinschaft ihres 60er Jahre-Altbaus wohnt, weiß, was Fürsorge ist. Die Platzteller auf dem gebeizten Kiefertisch im Wohnzimmer zeugen davon. „Einen gedeckten Tisch finde ich schön.“ Dann sei immer Platz, „falls noch einer kommt“. Sie zündet die Kerzen an, die Schaufensterpuppe, ein Fundstück von Hertie, schaut zu. „Die ist immer jahreszeitlich gekleidet“, im Moment mit glitzerndem Partydress.
Es fällt schwer, das Gespräch bei der Einrichtung zu halten – viel Jugendstil, Gründerzeit, Art déco, viele Spiegel, viele Bilder und ein bisschen Nippes -, denn immer kommen Anekdoten dazwischen. Christel sitzt auf ihrem neuen Sofa, massives Metallgestell, schwarze Polster mit knallroten Kissen nebst Kuscheltier, guckt auf die monströse Vitrine gegenüber und hält ihr Poesiealbum hoch. „Ich weiß, dass das peinlich ist. Mir ist das egal.“ Immanuel Humm verewigte sich mit Lyrik und Foto als Titelheld aus der „Rocky Horror Picture Show“, denn Christel war auch Statistin an den Kieler Bühnen.
Bei Tosca war sie Königin, bei Rigoletto „eine koksende Nutte“, lernte beim Film den Kieler Regisseur Lars Büchel und über das Theater den Kleindarsteller Jürgen Prediger kennen. Letzterer riet ihr, sich beim Metro vorzustellen. Wie soll man bei soviel Menschlichem über Möbel reden? Über den Worpsweder Stuhl neben dem hellblauen Rokkoko-Imitat, den schweren Beistelltisch mit dem Löwenfüßen? Flohmarkt und Haushaltsauflösungen sind das eine, wohlgeordnetes Verstauen in Ikea-Kisten zuhaus’ das andere. Wie den Blick auf den Kräutergarten auf dem Balkon lenken, den fragenden Fingerzeig auf die Kätzchen in der winzigen Wandvase machen, wenn Christel zuhören viel spannender ist? Lustig, dass sie in Sachen „Mousse au chocolat“ mit ihrem Sohn im Wettbewerb steht (der ist Koch), schön, dass ihre vierjährige Enkelin eine Süße ist, erstaunlich, dass sie vor kurzem noch gezeltet hat, interessant, dass sie regelmäßig nach Berlin und Potsdam fährt, um in Historie und Gartenbau zu schwelgen. Da will das Auge nicht am floralen Gipsrelief aus einer Berliner Werkstatt weilen, nicht an der antiquarischen Ausgabe von Meyers Konversationslexikon, es klebt immer an Christel.
Sie sei ein bisschen perfektionistisch, meint die 1946 im Zeichen Jungfrau in Holtenau Geborene, egal, ob sie im Kino die M&M-Tütchen farblich symmetrisch arrangiert oder barocke Spiegel mit Holzblumen, Perlen und Engel über das Waschbecken hängt. Dem Chagall-Nachdruck im Flur fehlt noch der richtige Rahmen, aber das wird Christel auch noch wuppen. Auch wenn sie behauptet: „Ich bin nie fertig, ich werde nie fertig werden. Aber das ist normal bei mir“. (Almut Behl, KN, November 2009)
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