Vom (Ver-) Schweigen zum aktiven Erinnern

Studierende erinnern gemeinsam mit Ilja Richter an seinen Vater, den Widerstandskämpfer Georg Richter

„Wenn Ihr herkommt, möchte ich Euch bitten, vor allem Mama, nicht gleich einen Schreck zu bekommen, wenn ich Euch in meiner blauen Uniform erscheine. Ich fühle mich durchaus wohl und das ist sehr wichtig (…). Ich bitte Euch, meine Strafe genauso wurstig zu nehmen wie ich selber (…). Immer ruhig Blut, es wird sich vieles finden.“ Dies schrieb der kommunistische Widerstandskämpfer Georg Richter 1936 an seine Eltern, während seiner Haft unter anderem in den Konzentrationslagern Esterwegen, Neuengamme und Kaltenkirchen. Die Geschichte Georg Richters, der mehrfach aus den KZs floh, immer wieder gefangen wurde, aber die neuneinhalbjährige Haft überlebte, wird erst jetzt aufgearbeitet – im Projekt „Vergangenheit zwischen Schweigen und Erinnerung“, das der Historiker Thomas Käpernick von der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen zusammen mit Studierenden der Europa-Universität Flensburg und deren Dozentin, der Kieler Dokumentarfilmerin Quinka Stoehr, initiiert hat.
Georg Richter überlebte neuneinhalb Jahre KZ-Haft (Foto: privat)
Im Rahmen des Masterstudiengangs Kultur-Sprache-Medien sichteten neun Studierende Briefe von und Dokumente über Georg Richter sowie filmisches Interviewmaterial seines französischen Mitgefangenen Pierre Vignes. Das Projekt behandelt neben deren Biografien auch das schwierige Erinnern der „2. Generation“. Dem Schauspieler Ilja Richter, Sohn Georg Richters und der jüdischen Schauspielerin Eva Richter, die unter einer gefälschten „arischen“ Identität den Nazi-Terror überlebte, geboten seine Eltern – wie damals viele Verfolgte des Nazi-Regimes -, in der Öffentlichkeit über ihre Vergangenheit zu schweigen. Erst nach dem Tod seines Vaters sprach Ilja Richter über ihr Schicksal und ist am kommenden Sonntag in Kaltenkirchen bei einer von den Studierenden organisierten und moderierten Veranstaltung zu Gast. Und Zeitzeuge eines vom Antikommunismus der 60er Jahre bis heute schwierigen Umgangs mit diesen Kapiteln deutscher Geschichte.
Ilja Richter musste jahrzehntelang über die Geschichte seines Vaters schweigen (Foto: DERDEHMEL)
Neben der Geschichte selbst geht es also um eine Erinnerungskultur, die das jahrzehntelange (Ver-) Schweigen bricht. „Die Idee, mit Studierenden zu diesen Themen (Widerstand, Verfolgung, Umgang mit Verfolgten in der Nachkriegszeit, 2. Generation) zu arbeiten und ihnen die Erarbeitung einer Veranstaltung für die Gedenkstätte zu übertragen, entstand aus der Überlegung, diese (dritte) Generation aktiv mit einzubeziehen“, sagt Quinka Stoehr.
Vor dem Gespräch in der Freien Waldorfschule wird Ilja Richter das KZ besuchen, in dem sein Vater einst litt. Quinka Stoehr und die Studierenden werden diesen Besuch und die Gesprächsveranstaltung mit der Kamera begleiten. Entstehen soll ein Dokumentarfilm über die Geschichte und das Erinnern, der in der KZ-Gedenkstätte gezeigt werden wird. (jm)
Sonntag, 3. Dezember 2017, 16 Uhr, Freie Waldorfschule Kaltenkirchen (Kisdorfer Weg 1). Eintritt frei, um eine Spende zur Förderung der Gedenkstätte wird gebeten.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner