Trotz alledem, ein mutig Pfeifen, so einsam im hohen Wald – Ein Faktencheck
Der emotional gehaltene Kommentar von Gerald Grote „Einfach so tun, als ob“ anlässlich des Sommerfests der Film-Community in Schleswig-Holstein am 6. Juli 2017 in Kiel und des 10-jährigen Fusions-Jubiläums der Filmförderungen in Hamburg und Schleswig-Holstein am 11. Juli 2017, den ich trotz der Polemik und teilweiser Ungenauigkeiten wegen seines Engagements und seiner Verve für beachtens- und bedenkenswert halte, ermuntert mich, mit einigen Anmerkungen den Aussagen Gerald Grotes auf den Grund zu gehen und damit vielleicht auch einige der Angriffsflächen, die sein Kommentar reichlich bietet, zu mindern.
Check 1
In den von Grote angeführten „mehr als 2 Millionen Euro“ Förderung, die angeblich jährlich bis 2007 in schleswig-holsteinische Filmproduktionen flossen, steckten als größter Anteil die Fördergelder der MSH – Medienstiftung Schleswig-Holstein mit Sitz in Lübeck. Die MSH förderte überwiegend Fernseh- und Hörfunkproduktionen. Sie wurde im Rahmen der Zusammenführung der Landesmedienanstalten von Hamburg und Schleswig-Holstein als dritte Förderinstitution neben den beiden Filmförderungen in die neue Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein (FFHSH) überführt.
Gemeinsame Sache für den Film im Norden: Bernd-Günther Nahm und Eva Hubert, 2007 (Foto: Helen Peetzen, FFHSH)
„Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein GmbH (FFHSH) führt die Geschäfte der bisherigen FilmFörderung Hamburg weiter und übernimmt die Aufgaben der MSH – Gesellschaft zur Förderung audiovisueller Werke in Schleswig-Holstein mbH sowie die Filmwerkstatt der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein. Gesellschafter sind die Freie und Hansestadt Hamburg mit 74,9 Prozent und die Landesregierung Schleswig-Holstein, die 25,1 Prozent des Stammkapitals der Gesellschaft erworben hat.“ (Quelle)
Die MSH bekam ihre Mittel aus einem Anteil der Rundfunkgebühren, der zuvor der Landesmedienanstalt ULR zur Förderung der regionalen Infrastruktur der audiovisuellen Medien in Schleswig-Holstein zugeflossen war. Der Anteil an reinen Filmfördermitteln der Filmwerkstatt Kiel der FFHSH entsprach nach 2007 über die Jahre in etwa dem der Kulturellen Filmförderung Schleswig-Holstein. Insgesamt stellte sich die Finanzsituation der neuen FFHSH bei ihrem Start am 11. Juli 2007 wie folgt dar:
„Der erweiterten Gesellschaft werden jährlich 1,8 Mio. Euro für Filmförderung sowie 300.000 Euro für die Kieler Filmwerkstatt aus Rundfunkgebührenmitteln zugeführt. Damit erhöht sich das Jahresbudget der FFHSH auf über 10 Mio. Euro. An Vergabemitteln stehen der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein nach Abzug der Betriebsmittel und Sonderausgaben wie z.B. für Festivals zukünftig rund 8,3 Millionen Euro zur Verfügung. In dieser Summe enthalten sind 450.000 Euro für NDR-Auftrags- und Koproduktionen, die weiterhin als Zuschüsse nach den bisherigen MSH-Regularien gewährt werden, um Schleswig-Holstein als Film- und Fernsehstandort zu stärken.“ (Quelle) Letzteres erklärt auch die von Grote beklagten Fördergelder für die Kieler Tatorte. Die Tatort-Förderung ist ein Relikt aus MSH-Zeiten.
Check 2
Gerald Grote polemisiert in seinem Kommentar auch kurz über die Zusammenarbeit zwischen Filmförderung und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PWC). Dazu hier die Erläuterung, dass z.B. bei jeder Filmförderung der Filmwerkstatt Kiel der FFHSH nach der Förderungsbewilligung jeder Antrag mit einer Fördersumme über 5.000 Euro von PWC hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Kalkulation sowie eines korrekten Finanzierungsplans geprüft wird, bevor zwischen Förderer und Gefördertem/er ein Vertrag geschlossen wird und daraufhin die Fördergelder fließen. Ebenso wird die Schlussabrechnung des Projekts auf ihre Korrektheit vor Abschluss der Produktion und Zahlung der letzten Förderrate geprüft. Beides ist Bedingung für eine Förderung, geschieht im Auftrag des/der Geförderten und muss also auch von ihm/ihr aus der Fördersumme beglichen werden. Nun kann man sicherlich grundsätzlich diskutieren, ob diese Prüfung von der Filmförderung quasi outgesourcet werden und von den Geförderten (mit vierstelligen Eurobeträgen) beglichen werden muss, was das Budget der Produktion entsprechend mindert. Dass es so ist, kann man aber nicht der PWC vorwerfen, ebensowenig wie man die seriöse Arbeit der entsprechenden Wirtschaftsprüfungsabteilungen in den einzelnen Bundesländern der deutschen PWC in einen Topf werfen kann mit dem obskuren Beratergebaren in Luxemburg oder anderswo von anderen Mitgliedsfirmen von PricewaterhouseCoopers International, deren Netzwerk von selbständigen Mitgliedsfirmen weltweit operiert. (vgl.: Selbstdarstellung der PWC über ihre Zusammenarbeit mit der Filmbranche und den Filmförderungen)
Check 3 mit Ausblick
Das Filmforum Schleswig-Holstein, das im Rahmen der 30. Nordischen Filmtage Lübeck an 2 Tagen, am 2. und 3. November 1988, zum ersten Mal mit 9 Programmen und einer Diskussionsveranstaltung die Besucher ins Kino 5 des Capitol-Kinocenters lockte, war bis 1996 gar keine Veranstaltung der Nordischen Filmtage sondern wurde vom „Zentrum“ in der Mengstraße verantwortet, einer Einrichtung des Jugendamts der Hansestadt Lübeck, in dem sich auch das Kommunale Kino der Stadt befand und immer noch befindet. Die Motivation, eine solche Filmschau auszurichten, war damals eine gänzlich andere als später, ebenso der Anspruch an die Filme. Man wollte damals neben den wenigen Arrivierten im Lande (unter ihnen der Newcomer Detlev Buck, Kurt Denzer, Sigrun Koeppe; alle mit Filmen beim ersten Filmforum SH vertreten) vor allem dem Nachwuchs eine Plattform bieten, so z.B. den Super-8-Filmern aus der Jugendarbeit im „Zentrum“ in Lübeck und den vielen jungen FilmemacherInnen“, die die Landesarbeitsgemeinschaft für Jugendfilmarbeit und Medienerziehung in Schleswig-Holstein (LAG Film, heute: Landesverband für Jugend und Film Schleswig-Holstein) seit 1975 alljährlich zu sehr beliebten Veranstaltungen auf dem Scheersberg bei Flensburg versammelte.
Titelblatt des Katalogs des ersten Filmforums Schleswig-Holstein 1988
„Was dezentral an anspruchsvollen Amateur-Arbeiten in den verschiedenen Film-Gruppen entsteht, kann hier (gemeint ist der Scheersberg) in einer Jahresschau präsentiert und diskutiert werden. Eine regelrechte Szene ist so entstanden, die mittlerweise auch auf finanzielle Unterstützung bauen kann.“ (Karl Hermann im Katalog zum ersten Filmforum Schleswig-Holstein, S. 7-8) – Ein wenig denkt man bei diesen Worten an die junge „Filmszene Schleswig-Holstein“ von heute, nur dass Anspruch und Selbsteinschätzung damals doch wohl bescheidener und damit auch realistischer waren, wobei man auch in Rechnung stellen muss, dass man damals noch nicht über die ausgereifte, erschwingliche Technik und die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten von heute verfügte.
Erst 1996, beim 9. Filmforum SH, es gibt jetzt schon 14 Programmblöcke an drei Tagen, dokumentiert auch die Aufnahme in den Katalog der Nordischen Filmtage, dass das Filmforum SH gleichrangiger Bestandteil im offiziellen Programm geworden ist. Das Programm des Filmforums SH hat sich allerdings gewandelt. Kurzfilme von anspruchsvollen „Amateurfilmern“ sind kaum noch vertreten. 2006 drängt der mit 55.000 Euro Preisgeldern dotierte Schleswig-Holsteinische Filmpreis mit seinen Bewerbern auf die Programmplätze des Filmforums SH. Routinierte deutsche Spielfilmprofis wie Stefan Kromer und Daniel Nocke, deren Film „Sommer 04“ an der Schlei gedreht wurde, entdecken auf einmal Lübeck für sich und geben den Filmforum Schleswig-Holstein einen weltläufigeren Anstrich. Die regionale Note ist auf dem Rückzug. Als dann schließlich 2007 unter dem Vorzeichen der gerade erst fusionierten Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein aus dem Filmpreis einer Norddeutscher wird, hält der Film aus Hamburg endgültig Einzug auf den Nordischen Filmtagen. Leiterin Angela Buske darf zwar noch im Festivalkatalog 20 Jahre Filmforum Schleswig-Holstein feiern und zufrieden zurückblicken („Seit mittlerweile 20 Jahren präsentiert das Filmforum Produktionen aus dem nördlichsten Bundesland und beweist dabei regelmäßig, wie groß die Schaffenskraft der hiesigen Filmemacherinnen und Filmemacher ist.“, 49. Nordische Filmtage Lübeck, Katalog, Seite 6), muss aber an gleicher Stelle den Einzug von etlichen Hamburger Filmen ankündigen, der auch im Zusammenhang mit dem nun auch für Hamburger Produktionen ausgelobten Filmpreis steht.
2008 heißt das Programmsegment konsequenterweise nur noch „Forum“. Denn so konstatiert es Angela Buske elegant mit Understatement: „Der Austausch mit dem Nachbarn gewinnt für Schleswig-Holstein zunehmend an Bedeutung. Hamburg ist ein Stückchen näher gerückt …“ So vollzieht sich die Wachablösung des Films aus der Provinz durch den Film aus der benachbarten Metropole auf Raten.
Der Norddeutsche Filmpreis ist inzwischen Geschichte, 2012 wurde er zum letzten Mal verliehen. Mit zum Schluss 75.000 Euro für die Preisgelder wurde er dem Geldgeber (sprich der Filmförderung) zu teuer. Kaum jemand erinnert sich heute noch an den Versuch, mit ihm auch einen Glamour-Faktor auf die Nordischen zu bringen. Was bleibt, ist die Zurückdrängung der Filme aus Schleswig-Holstein. Klar ist es jetzt schwieriger, einen Film aufs Forum zu bringen. Die Qualitätsansprüche sind gestiegen. So treten jetzt unter anderen die jungen, ehrgeizigen Liebhaber der Filmemacherei aus der Landeshauptstadt, tatkräftig unterstützt von einem beachtlichen Netzwerk Gleichgesinnter, ausgestattet mit propagandistischem Talent und umschwärmt von ihrer zahlenmäßig nicht zu unterschätzenden Fan-Klientel gegen die Vollprofis aus der „Weltstadt“ an, die ihr Metier berufsmäßig gelernt haben und von ihrer Arbeit bei und mit dem Film leben müssen. Die Konkurrenz mit den Großstädtern, die im Gegensatz zu den Leuten aus Schleswig-Holstein nicht nur über eine finanzkräftige Filmförderung, mehrere Filmhochschulen und eine Filmbranche verfügen, die nicht nur wie in Kiel von den jungen Filmenthusiasten mit Ausdauer beständig herbei behauptet werden soll, ist hart und im Filmforum allgegenwärtig. Trotz aller eindeutigen Zwischenstände ist sie noch nicht entschieden, obwohl derjenige, der ernsthaft auf Dauer Filme machen will, zumeist nicht in der Provinz bleiben kann und will. Doch wie heißt es so schön in einem noch zu drehenden Super-8-Film: „Trotz alledem, ein mutig Pfeifen, so einsam im hohen Wald“ (Helmut Schulzeck)