67. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2017

Willkommen zurück im Kaurismäki-Land

„The Other Side of Hope“ / „Toivon tuolla puolen“ (Aki Kaurismäki, Finnland/Deutschland 2017)

Das waren noch Zeiten, als Aki Kaurismäki bei den Berlinalen der 80er und 90er Jahre seine eigenwilligen, poetisch-melancholischen späteren Filmklassiker präsentierte und bei den Publikumsgesprächen deutlich zeigte, dass er mit dem zuweilen glamourösen Gehabe der Filmbranche rein gar nichts anfangen konnte. „Hamlet Goes Business“, „Ariel“, „Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“, der Stummfilm „Juha“ und die Filme um die „Leningrad Cowboys“ liefen im Internationalen Forum des Jungen Films, das ja ursprünglich als Gegenbewegung zur Mainstream-Linie der Internationalen Filmfestspiele Berlin um den Wettbewerb gegründet worden war. Ein Vierteljahrhundert und etliche Auszeichnungen u.a. bei den Filmfestspielen in Cannes („Der Mann ohne Vergangenheit“, „Le Havre“)später lief Kaurismäkis neuestes Werk jetzt im Wettbewerb. Und wurde mit dem Silbernen Bären für Beste Regie ausgezeichnet.
Sherwan Haji, Nuppu Koivu, Janne Hyytiäinen, Sakari Kuosmanen, Ilkka Koivula in „The Other Side of Hope“ (Foto: Malla Hukkanen, Sputnik Oy)
Zwei Handlungsstränge fließen im Film zusammen: Der syrische Flüchtling Khaled (Sherwan Haji) kommt als blinder Passagier eines Kohlefrachters in Helsinki an und beantragt in Finnland Asyl. Als sein Antrag jedoch abgelehnt wird, taucht er unter und versucht sich durchzuschlagen – und er verliert die Hoffnung nicht, seine Schwester wiederzufinden, die er auf der Flucht „auf der anderen Seite der Grenze“ hatte zurücklassen müssen. Auf andere Art strebt auch der Unternehmer Wikström (Sakari Kuosmanen) bewusst eine Änderung seiner Umstände an: Er hat sein bisheriges Leben als Vertreter für Herrenoberhemden und Ehemann satt, trennt sich von Lagerbeständen und Ehering und übernimmt das kleine Restaurant „Zum goldenen Krug“, inklusive der drei Angestellten. Khaleds und Wikströms Wege kreuzen sich, als letzterer den Geflüchteten in seinem Müllcontainer vorfindet. Und bald tritt Khaled seinen Job als vierter Mitarbeiter Wikströms an …
„Die andere Seite der Hoffnung“ wird die Kinogänger in Deutschland ab Ende März in ein vertrautes Kaurismäki-Universum entführen: Eine Hafenstadt, das Milieu der „kleinen Leute“, die Farben, die Ausstattung, die wortkargen Dialoge, der trockene Humor, der Rock’n’Roll, die Lebensweisheit in der Lakonie. Regisseur und Drehbuchautor Kaurismäki hat jede Zehntelsekunde durchkomponiert und dabei nicht mit Selbstironie gespart: Der Film ist voller Eigenzitate, vom Restaurant-Setting („Wolken ziehen vorüber“) bis hin zum Stillfoto der Hauptpersonen hinter der Windschutzscheibe („Tatjana“). Noch dazu konnte Aki Kaurismäki eine ganze Riege finnischer Star-Schauspieler gewinnen, darunter (natürlich) auch „seiner“ ureigensten Darsteller – immer wieder ein gelungener Überraschungseffekt, gerade auch in den kleineren Rollen die vertrauten Akteure zu sehen. Auch der Jack-Russell-Terrier Koistinen (letzteres ist ein finnischer Nachname) tritt eine würdige Nachfolge u.a. der Hündin Laika in der Rolle des Baudelaire aus „La vie de bohème“ an.
Doch von einer Romantik des Zusammenhalts der kleinen Leute allein kann in „Die andere Seite der Hoffnung“ nicht die Rede sein. Khaled wird in seiner neuen Welt nicht zu knapp mit menschlicher Kälte und Feindseligkeit bis hin zu körperlicher Gewalt konfrontiert – was leider auch in der Wirklichkeit des heutigen Finnland ganz konkrete Parallelen hat. Wird Khaled, der ja in der neuen Schicksalsgemeinschaft irgendwie klarzukommen schien, die Gefährdung überstehen, ja überleben? Und wird er seine Schwester wiederfinden? Zu Khaleds und Wikströms „anderer Seite der Hoffnung“ gehört die – erzwungene oder erwünschte – Offenheit für Veränderung, das Sich-neu-Ausprobieren, oder Sich-neu-ausprobieren-Müssen. Auf Wikströms „Goldenen Krug“ heruntergebrochen heißt das: heute noch Fleischbällchen auf der Speisekarte, morgen schon Sushi.
Kaurismäki spielt in „Die andere Seite der Hoffnung“ gekonnt mit den Erwartungen des Zuschauers, auch denen des Kaurismäki-Filmfans. Dem Zuschauer bleibt es schließlich selbst überlassen zu entscheiden, ob es ein wirkliches Happy End gibt. Die Tonlage ist allerdings durchaus versöhnlich: Wikströms Ehering war zwar im Aschenbecher gelandet, wurde aber doch nicht entsorgt. (gls)
„Toivon tuolla puolen / The Other Side of Hope / Die andere Seite der Hoffnung“, FIN/D 2017. Buch und Regie: Aki Kaurismäki; Darsteller: Sherwan Haji, Sakari Kuosmanen, Janne Hyytiäinen, Ilkka Koivula, Nuppu Koivu
Cookie Consent mit Real Cookie Banner