67. Internationale Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2017

Genrekino mit sozialem Gewissen

„Mr. Long“ (Sabu, JAP, HK/CH, Taiwan, D 2017)

Die Kamera gleitet durch die nächtlich-glitzernden, neon-beleuchteten Straßen von Taipeh. In einem Hinterzimmer hocken Triaden-Gangster a la „Reservoir Dogs“ in der Runde und lästern über einen Verräter, den sie jüngst zur Rechenschaft zogen. Aus dem dunklen Nichts betritt Profikiller Mr. Long die Szene und richtet, lediglich mit einem Messer bewaffnet, alle anwesenden bösen Buben. Diese äußerst elegant choreografierte und gefilmte Sequenz ist der Auftakt zum ungewöhnlichem Genrefilm „Mr. Long“ von Sabu (bürgerlicher Name: Hiroyuki Tanaka), der nach mehreren Filmen in den Sektionen der Berlinale nun zum ersten Mal am Wettbewerb teilnahm.
Profikiller „Mr. Long“, ein Mann der wenigen Worte.
Nach der Einführung des taiwanesischen Profikillers Mr. Long (Chen Chang) als Messerkünstler und Mann der wenigen Worte geht es nahtlos weiter mit einem Auftrag in Japan, welcher eigentlich sein letzter sein soll. Das Attentat auf einen Yakuza-Boss scheitert allerdings kläglich, und Mr. Long erwartet das sichere Ende in einem Erdloch am Stadtrand. Mit knapper Not kann Long in einem Kartoffelsack den Abhang hinunterrollend entkommen. Tags darauf findet er sich verwundet in einer verlassenen Wohnsiedlung wieder. Ein kleiner Junge bringt ihm Verbandszeug für die Schusswunde und rohes Gemüse, das Long zu einer schmackhaften Suppe zu verarbeiten weiß. Der Junge stellt sich als Sohn einer heroinsüchtigen Taiwanesin heraus, die im Viertel lebt. Long setzt die junge Mutter sofort und rabiat auf kalten Entzug. Während er sich um den Kleinen kümmert und ihn bekocht, kommt die Mutter tatsächlich von der Droge los. Die japanischen Nachbarn werden auf den fremden Neuankömmling aufmerksam, und die Kunde von seiner außergewöhnlichen Kochkunst zieht Kreise. Die freundlichen Nachbarn zeigen sich so begeistert, dass sie Long zu einem Neuanfang als Suppenkoch überreden und ihm einen fahrbaren Kochstand bauen. Schon bald sind Long’s Nudelsuppen der Renner im Viertel und Long gern gesehenes Mitglied der Gemeinschaft am Rande der Kleinstadt. Integration geht durch den Magen.
Neuanfang als Suppenkoch. Integration geht durch den Magen.
Erstaunlich übergangslos bewegt sich Regisseur Sabu zwischen den Genres, wechselt Tempo, Atmosphäre und unterteilt die Kapitel seiner Geschichte lediglich durch neue Farbpaletten. Knallharter Neo-Noir geht unversehens über in ein Sozialdrama mit romantischen und humorigen Zügen. Ohne Klischees und eine gehörige Portion emotionalen Pathos kommt „Mr. Long“ dabei jedoch nicht aus. Auch wechselt Sabu überraschend die Erzählperspektive, um die Junkie-Vorgeschichte der Mutter nachzureichen. Er verknappt manche emotionale Entwicklung, für die andere Regisseure einen ganzen Film ansetzen, auf wenige Szenen. Das kann irritieren. Einen wesentlichen Anteil am Gelingen dieser dramaturgischen Achterbahnfahrt trägt der ungemein charismatische Chen Chang, dem man das gute Herz seiner Figur unter der Betonschale gerne abnimmt. Die Hilfsbereitschaft der fortwährend plappernden japanischen Nachbarn bringt den schweigsamen Einzelgänger ein ums andere Mal in Verlegenheit. „You are acting cool and saying nothing“, erklärt ihm der Kleine seine unerwartete Popularität.
Schicksalsgemeinschaft als Familienersatz.
Gute Filme über Profikiller sind Reflektionen über Einsamkeit und die unterdrückte Sehnsucht nach Zugehörigkeit. „Mr. Long“ destilliert die Klassiker des Genres von „Le Samouraï“ (Jean-Pierre Melville, F 1967) bis „Léon“ (Luc Besson, F 1994), aber kaum ein Genre-Film schaut so lange dabei zu, wie sich der Ex-Profikiller zögerlich ein neues Leben aufbaut. Fast vergisst man, wo die Geschichte eigentlich ihren Ausgang nahm, denn die ungewöhnliche Schicksalsgemeinschaft der drei taiwanesischen Migranten in Japan scheint auf dem Weg in eine bessere Zukunft in der fremden Heimat zu sein.
Natürlich kann das nicht lange gutgehen. Die Regeln des Genres kennen ebenso wenig Gnade wie die Yakuza. Fatal bricht sich die Gewalt wieder Bahn in Mr. Long’s Leben. Bis es soweit kommt, hat Regisseur Sabu einen emotionalen Kosmos um seinen Helden aufgebaut, der den finalen, spektakulären Kampfszenen enorme Spannung verleiht. Fans des asiatischen Neo-Noir muss man „Mr. Long“ nachhaltig empfehlen. Aber Achtung: „Mr. Long“ schneidet messerscharf durch die Genre-Konventionen. (dakro)
„Mr. Long“, JAP/HK/CHI/TAI/D 2017, 129 Min., Farbe; Regie & Buch: Sabu; Kamera: Koichi Furuya; Schnitt: Georg Petzold; Darsteller: Chen Chang, Sho Aoyagi, Yiti Yao, Runyin Bai, Masashi Arifuku; Produktion (für Deutschland): Rapid Eye Movies
Cookie Consent mit Real Cookie Banner