66. Int. Filmfestspiele Berlin – Berlinale 2016
Rehabilitierung nach 80 Jahren
„The Road Back“ (James Whale, USA 1937)
Nachdem er uns über die glücklichen Umstände seiner Archiv-Entdeckung berichtet hat und kurz bevor die frische 35mm-Ausbelichtung der 1937er Originalversion von „The Road Back“ auf die Leinwand des Berliner Zeughauskinos geworfen wird, zieht TV-Autor, Produzent und Filmrestaurator David Stenn einen gefalteten Zettel aus der Hosentasche: Eine persönliche Adresse von Martin Scorsese, gerichtet an das Publikum, das auf der Berlinale 2016 die Premiere der wiederentdeckten Fassung von „The Road Back“ sehen wird. In ein paar wohlformulierten Sätzen weist Scorsese auf die Bedeutung von (digitaler) Filmrestaurierung und -archivierung zum Erhalt der Filmgeschichte hin. Die Hälfte aller vor 1950 und mehr als 80% aller vor 1929 produzierten Filme gelten unter Experten als verloren. Die von Martin Scorsese gegründete Film Foundation ist eine einzigartige Initiative des Regisseurs und Filmenthusiasten, getragen insbesondere von Spendengeldern privater und institutioneller Sponsoren. Die Premiere der rekonstruierten und restaurierten Fassung von James Whales „The Road Back“ ist eines der jüngsten abgeschlossenen Projekte der Film Foundation und sicher ein besonderer Coup.
Die Adaption des Romans „Der Weg zurück“ von Erich Maria Remarque durch den Hollywood-Erfolgsregisseur James Whale („Frankenstein„, USA 1931; „The Invisible Man„, USA 1933) galt als verloren. Die Nazis hatten von den Dreharbeiten Wind bekommen und wollten die Veröffentlichung des Quasi-Nachfolgers von „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930) verhindern. Das ausführende Studio Universal war unter finanziellen Druck geraten. Die Drohung, die Aufführung von Universal-Filmen in Deutschland zu behindern, war aufgrund des geringen tatsächlichen Exportgeschäfts zwar eine hohle. Dennoch beugte sich Universal und ließ den Film nach seiner Fertigstellung 1937 noch vor dem Kinostart ohne Kenntnis Whales in seiner Struktur und Aussage stark verändern. Etliche neue Szenen wurden mit komödiantischem Unterton gedreht, dafür wurden Originalszenen herausgeschnitten. 1939 kam „The Road Back“ als „revitalized“ (neu belebte) Fassung ins Kino. Regisseur und Autor waren entsetzt und distanzierten sich von Film und Studio. Der kommerzielle Erfolg blieb ebenfalls aus. Remarque hat konsequent die Distributionsrechte an „The Road Back“ für Universal nach 1941 nicht verlängert. Damit wurde der Film für das Studio nach kurzer Kinoauswertung uninteressant. Die Master-Positiv-Kopie des Originals landete in den Archiven der Universal, zusammen mit dem Original-Negativ der Revitalized-Version. Nachsatz: In Nazi-Deutschland wurde der Film natürlich trotzdem verboten.
Wahrscheinlich war diese gemeinsame Archivierung der Grund dafür, dass die Originalversion jahrzehntelang nicht auffindbar war. Man vermutete im Archiv schlicht nur die geänderte Fassung von 1939. David Stenn hatte jedoch den richtigen Riecher. Seiner Erfahrung nach finden sich verlorene Filme nicht selten in den Archiven, in die sie auch gehören, allerdings falsch sortiert oder gekennzeichnet. In diesem Fall war Stenn aufgefallen, dass 12 Filmdosen für einen Film vorhanden waren, der eigentlich nur 7 Akte (= 7 Dosen) haben sollte. Tatsächlich lag die ursprüngliche Schnittfassung unverändert in den Regalen. Die Aufführungsrechte konnten schnell geklärt werden: Remarque hatte sie seiner Frau, der Schauspielerin Paulette Goddard („The Great Dictator„, USA 1940) vermacht. Die wiederum vererbte die Rechte an die New York University (Film School), Martin Scorseses Alma Mater. Nach knapp zwei Jahren konnte nun die restaurierte Fassung auf der Berlinale zur Uraufführung kommen. Die 1939er Fassung wurde ebenfalls restauriert und wird für eine filmwissenschaftliche Auswertung archiviert.
Es wäre in der Tat interessant, die beiden Versionen zu vergleichen, was zu diesem Zeitpunkt allerdings nur schwer möglich ist. Die Revitalized-Version liegt nicht auf dem Heim-Video-Markt vor, wird aber in restaurierter Fassung für wissenschaftliche Zwecke archiviert. Zumindest die Originalfassung wird hoffentlich in naher Zukunft veröffentlicht.
„The Road Back“ – Die Schrecken des Kriegs auch in der „Etappe“: Lazarett-Szene (Quelle: NBC Universal Archives & Collections, Copyright: Universal Pictures)
Für James Whale war „The Road Back“ eine Rückkehr zum Thema seines Erstlings „Journey’s End“ (1930), in dem eine Gruppe britischer Offiziere die Schrecken des Grabenkriegs kurz vor dem Ende des 1. Weltkrieges durchlebt. Der Filme brachte Whales Karriere als Hollywood-Regisseur auf Kurs. In kurzer Folge konnte Whale mehrere kommerziell erfolgreiche Horror-Klassiker inszenieren, aber auch das Hit-Musical „Show Boat“ (USA 1936). „The Road Back“ hatte alle Voraussetzungen, der Höhepunkt in Whales Filmschaffen zu werden. „Im Westen nichts Neues“ hatte einige Jahre zuvor bewiesen, dass das amerikanische Publikum auch einen Kriegsfilm aus der Perspektive deutscher Soldaten nicht ablehnt. Remarques Romanvorlage „Der Weg zurück“ schildert die Versuche einer Gruppe heimkehrender Kameraden, sich nach dem Ende des Krieges in das Zivilleben einzugliedern. In Whales Adaption wollen die Kameraden sich weder von den Soldatenräten vereinnahmen lassen, noch fällt es ihnen leicht, sich in das postmonarchistische Bürgertum einzureihen.
„The Road Back“ – Die Heimat gespalten zwischen Räterepublik und Bürgertum (Quelle: NBC Universal Archives & Collections, Copyright: Universal Pictures)
Whales Inszenierung hält sich an die Hollywood-Erzählkonventionen und löst daher einige der Konflikte entweder durch komödiantische Überzeichnung oder in übertriebenem Pathos auf. Moralische Positionen werden stets eindeutig verortet und überdeutlich erzählt. Während z.B. der alte Kompanie-Haudegen mit Chuzpe in die örtliche Metzgerfamilie einheiratet, rettet der fürsorgliche junge Offizier per pathetischer Ansprache vor Gericht den Kameraden vor der Verurteilung wegen Ehrenmordes an seiner Verlobten. Geradezu prophetisch allerdings ist das Schlussplädoyer in seiner Warnung an die Zuschauer: Seit dem 1. Weltkrieg sind die Nationalstaaten nicht etwa restriktiver in ihren Militärhaushalten geworden, im Gegenteil: Die Ausgaben haben sich verzigfacht, eine noch größere Apokalypse steht der Welt bevor.
Zu den Stärken des Films gehören sicher die Szenen in den Frontgräben sowie die letzten Attacken auf die feindlichen Stellungen. Whales filmische Handschrift, geprägt durch den deutschen Film-Expressionismus, und seine Leidenschaft für Malerei, geschärft durch die Arbeit im Horror-Genre, verleihen den Schlachtfeld-Studio-Sets eine adäquate Düsternis und den Odor des finalen Verderbens.
„The Road Back“ – Düstere Bilder des Grabenkriegs (Quelle: NBC Universal Archives & Collections, Copyright: Universal Pictures)
Whales Enttäuschung über das Einknicken Universals und die Verwüstung seines Films war bodenlos. Universal hätte sich keineswegs beugen müssen, das US State Department und die Anti-Nazi-League Hollywoods hatten sich jegliche Einflussnahme des deutschen Konsulats auf die Remarque-Verfilmung verbeten. Whale zog sich nach zwei weiteren erfolglosen, aber vertraglich festgelegten Regiearbeiten aus dem Filmgeschäft zurück.
Die restaurierte Fassung von „The Road Back“ ist eine späte, aber vollständige Rehabilitierung für den britischen Theater- und Filmregisseur, dessen glanzvolle Karriere aufgrund politischen Drucks aus Nazi-Deutschland zu einem vorzeitigen und unrühmlichen Ende kam. (dakro)
„The Road Back“, USA 1937, restaurierte Originalfassung, 35 mm, 100 min.; Regie: James Whale; Buch: R. C. Sheriff, Charles Kenyon; nach dem Roman „Der Weg zurück“ von Erich Maria Remarque und dessen englischer Übersetzung von A. W. Wheen; Kamera: John J. Mescall, George Robinson; Production Design: Charles D. Hall; Schnitt: Ted Kent; Ton: William Hedgcock, Bernard B. Brown; Musik: Dimitri Tiomkin; Darsteller: John King, Richard Cromwell, Slim Summerville, Maurice Murphy, Andy Devine, Larry Blake, John Emery, Henry Hunter, Noah Beery Jr.; Produktion: Universal Pictures, Charles R. Rogers; Kopie: Library of Congress, Culpeper and The Film Foundation, Los Angeles (restaurierte Fassung 2016)
Film-Tipps zum weiter und Nachschauen:
- „Frankenstein“ (James Whale, USA 1931)
- „Bride Of Frankenstein“ (James Whale, USA 1935)
- „Gods And Monsters“ (Bill Condon, USA 1998) – Ian McKellen spielt James Whale in den Jahren nach seinem Rückzug aus dem Filmgeschäft