Nackte (Film-) Sehnsucht

Hille Norden und ihr Team drehen einen Spielfilm über die Sehnsüchte der Jugend

Ein bisschen peinlich ist es Filmemacherin Hille Norden, wenn sie halbnackt durch die Szenerie einer Kieler WG-Küche wandelt, verschwitzt und „die Zigarette danach“ im Mund mit verschmiertem Lippenstift – aber: „Das gehört zum Set.“ Die U20, bereits bekannt als Poetry-Slammerin und Autorin des Theaterstücks „Heil Hitler, with Love … Die Milford-Schwestern“, das im März im Sechseckbau Premiere feierte, dreht nach Kurzfilmexperimenten ihren ersten Langfilm, aufs Großformat von „mindestens 100 Minuten“ angelegt, Arbeitstitel: „Taumelfall“.
So steht es auf der Klappe, nebst „Szene 2, Einstellung 7“, die hier gedreht wird: Eine „etwa 17-Jährige“ begegnet ihrer Mutter, welche den Sex-Eskapaden ihrer Tochter mit aus dem Club aufgelesenen Jünglingen ebenso hilflos gegenübersteht wie die junge Frau, die hier nicht nur ihre Unschuld verliert (oder gewinnt?), auch die Perspektive für das weitere Leben …
Hille Norden (rechts) in Diskussion mit Regisseur Johann Schultz (links), weiter sichtbar Hannes Gorrissen (Kamera, Mitte) und Francisco Borges Fajardo (Ton, ganz links) (Foto: jm)
Hille hat das Drehbuch geschrieben, ist Hauptdarstellerin „Jola“, und sie übernimmt selbstbewusst auch die Rolle der Produzentin. Um sich hat sie die aufstrebende junge Kieler Filmszene geschart, die sich um Hindernisse wie Förderungsanträge bei der Filmwerkstatt Kiel (dennoch gefördert vom Landesverband Jugend und Film und diversen Sponsoren) nicht schert, sondern „einfach macht“. Ein „Taumelfall“, der ein solcher sein mag, gleichwohl professionell durchgeplant, so der Eindruck, wenn man das Film-Team bei der Arbeit beobachtet: Regisseur Johann Schultz, bekannt für seine Filme, die unter anderem beim diesjährigen „48 Stunden“-Kurzfilmwettbewerb reüssierten; Kameramann Hannes Gorrissen, der die halb zärtliche, halb fremdelnde Szene zwischen Mutter (Dagmar Richter) und Tochter gewandt mit Schuss und Gegenschuss auflöst; Maskenbilderin Sina Bernhardt, die Hille in einen Teen-Vamp „zwischen Drogen- und Alkohol-Verschattung“ schminkte; und die vielen anderen im Hintergrund des circa 15-köpfigen Teams.
Darin sind alle „erste Reihe“, denn, so Hilles Erfahrung: „Filmemachen ist Bündelung von vielen Kräften, die wiederum viele Kräfte freisetzt.“ Um was es in dem Film geht, ist auch am Set spürbar. Hille: „Von ihren vielen Möglichkeiten gelangweilte junge Menschen suchen nach ihren Möglichkeiten.“ Oder auch: Junge Kieler machen einen Film, jenseits der Hürden, die meist Ältere nur zum Schein aufbauen. Wie gegenwärtig die jungen Filmemacher dabei mit dem Medium umgehen, zeigt auch, dass jetzt die 18. Fassung des Drehbuchs in Arbeit ist – und das wird nicht die letzte sein …
„Das Wichtigste beim Filmemachen sind die Menschen und der Moment“, sagt Hille in der Drehpause, jetzt ein Sweatshirt über ihre eben noch dargestellte, verletzliche Nacktheit geworfen. Die Sehnsucht ihrer Generation, nackt und ohne Vorbehalte nach der Zukunft – auch des Filmens – zu suchen, bleibt sichtbar. Und verspricht im Sommer 2016, nach dem „Final Cut“ im Frühling, schon jetzt ganz großes Kino der Sehnsüchte. (jm)
Ein interessantes Interview mit den FilmemacherInnen findet sich hier auf filmszene-sh.de.
Cookie Consent mit Real Cookie Banner