Wissenschaft und Wikinger gegen den Strich gefilmt
Kurt Denzer zeigte zum 350. Jubiläum der CAU Kiel Filme über die Universität, die Geschichte Schleswig-Holsteins und der Wikinger-Siedlung Haithabu
Ihr 350. Jubiläum feiert die Kieler Christian-Albrechts-Universität in diesem Jahr. Einen Jubiläumsfilm gibt es dazu bislang nicht – wohl aber zum 300-Jährigen vor 50 Jahren – wenn auch nicht einen, wie sich die Kieler Academia, die 1965 unter den Talaren noch den Muff von wenn nicht tausend, so doch 300 Jahren trug, ihn sich wohl wünschte. Kurt Denzers in Zusammenarbeit mit dem AStA der CAU und der Film-AG im Studentenwerk gedrehter Kurzfilm „Floret Academia – ein deutsches Universitätsjubiläum 1965“ versteht sich selbst als eine Satire auf die Feierlichkeiten der Magnificorum aus Akademie und Politik (u.a. der damalige Bundespräsident Heinrich Lübke) und macht das nur wenige Jahre vor dem Aufstand der Studenten (der das provinzielle Kiel freilich etwas später erreichte als sein Zentrum Berlin) auch in Bildsprache und Montage deutlich. So sehen wir zu Beginn unter den feierlichen Klängen Henry Purcells Ausschnitte aus einer damals offenbar auch satirisch gemeinten Theaterposse über die herzögliche Universitätsgründung, geschnitten gegen den heute nicht minder antiquiert und lächerlich wirkenden Aufmarsch der akademischen Talar- nebst ihrer burschenschaftlichen Farben- und Schwertträger. Kaum einen Unterschied machen die 300 Jahre aus damaliger Sicht aus. Auch die Filmmontage, laut Denzer beeinflusst von Eisensteins Technik der Kollisionsmontage, spricht eine deutlich kritische und zudem satirische Sprache, wenn etwa zwischen die Bilder der hohen Herren, die unter dem Schutz berittener Polizei durch Kiels Straßen ziehen, solche von Pferdeäpfeln geschnitten werden, denen die geputzten Schuhe der Honoratioren gerade noch ausweichen.
Damals wie heute modern: Kollisionsmontage a la Eisenstein (Filmstills aus „Floret Academia“)
Ebenso die Kritik der 68er wird bereits vorahnend sichtbar, wenn zwischen die Bilder vom wohlständig üppigen Festbankett im Kieler Schloss ein Plakat mit der Aufschrift „3% der Kieler Studenten: Arbeiterkinder“ geschnitten wird. Ein auch in der Rückschau erhellendes Bild, wenn man bedenkt, dass selbst im 350. Jahr der Universitätsgründung immer noch (oder wieder?) keine vollständige Chancengleichheit beim Zugang zu universitärer Bildung erreicht ist. Da helfen – damals wie heute – auch keine salbungsvollen Feierreden, die Denzer deshalb kurzum wegschneidet und den Reigen der Redner, der nur noch aus Auf- und Abgängen zum Rednerpult besteht, vollends als Posse darstellt. Wie sehr das Filmische in der Montage liegt, zeigt der Film auf ganzer Linie und ist damit fortschrittlicher als manche heutige Dokumentation, die nur zeigt, statt auch kritisch hinterfragend zu deuten.
Gerade auch im Vergleich zu „Wolken – Wasser – Wissenschaft“, die Denzer und die AG Film der CAU 1996 bis 2000 drehten, ein Auftragswerk der CAU und damit wohl notwendigerweise eher ein Image-Film als eine Dokumentation.
Moderne Architektur als Selbstdarstellung eines modernen universitären Geists: das Audimax der CAU (Filmstill aus „Wolken – Wasser – Wissenschaft“)
Ein Dokument dennoch, zeigt der Film doch neben einem historischen Abriss der Geschichte der CAU – auch über die seinerzeit revolutionären Umtriebe der Professores Olshausen, Dahlmann, Droysen und Waitz beim Wartburgfest 1817 (später waren sie Mitglieder des ersten deutschen Parlaments in der Frankfurter Paulskirche) – recht umfassend die vielfältigen Forschungszweige an den neun Fakultäten der „Christiana Albertina“. Der Wikinger-Siedlung Haithabu als Forschungsschwerpunkt der Ur- und Frühgeschichtler widmet Denzer – als Mitbegründer des Archäologie-Film-Festivals CINARCHEA nicht verwunderlich – einen eigenen Schwerpunkt und verweist damit auf seine übrigen Filme zu diesem Thema. Das Institut für Meeresforschung und GEOMAR sind ein Alleinstellungsmerkmal der Kieler Universität im Bereich interdisziplinärer Forschung und Lehre, und erfahren daher schon im Titel des Films eine besondere Würdigung. Nicht ausgelassen wird die Geschichte der CAU am Ende der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus. Die Kieler Uni war eine der ersten im Deutschen Reich, an welcher der einst liberale universitäre Geist schon vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten mehr und mehr vom braunen Ungeist überwuchert wurde. Nach dem Krieg dann der Aufbau des neuen Campus, architektonisch zu Beginn der 60er Jahre ein beachtlicher Wurf. Auch wie sich die CAU in den 90er Jahren den Herausforderungen der Globalisisierung stellte – bei gleichzeitig zunehmender Finanznot und Studentenprotesten gegen den Bildungsnotstand, heute immer noch aktuell -, dokumentiert der Film anschaulich.
Schon von 1991 datiert der Zeichentrickfilm „Düster, dunkel, knapp belichtet“, dessen Titel sich nicht etwa auf das Filmbild bezieht, sondern auf die vielfach düstere und – zumindest in der Vorzeit des frühen Mittelalters, zur Zeit der Wikinger, noch „knapp belichtete“, also noch „dunkel“ erforschte Geschichte des Landes zwischen den Meeren. Selbige wechselvolle lassen Denzer und Michael Zamjatnins von den frühesten Anfängen über die – zuweilen auch barbarische – Hochkultur der Wikinger bis zur Neuzeit – mit Kiel als Kriegshafen und damit ein Zentrum des deutschen Militarismus, aber auch als Ursprung der Revolution von 1918 – Revue passieren. Fünf Jahrhunderte in nur fünf Minuten: Filmisch und tricktechnisch mit den an Morphing erinnernden Übergängen ein Meisterwerk, das den satirisch-kritischen Gestus von „Floret Academia“ wieder aufnimmt. Unsere Geschichte im Parforce-Ritt, aber umso eindringlicher auf den Punkt gebracht, als Lehrkurzfilm über Landesgeschichte geeignet – freilich wohl kaum aus Sicht der dazu Lehrbefähigten. Film zeigt jedoch hier sein ganzes Potenzial, das die Filmemacher gerade in der Reduktion und Konzentration der Mittel voll ausreizen. Unbedingt ein Referenzobjekt experimentellen schleswig-holsteinischen Filmschaffens.
Vexierbilder schleswig-holsteinischer Geschichte (Filmstill aus „Düster, dunkel, knapp belichtet“)
Solches Niveau wieder zu erreichen, kann nicht ganz einfach sein. Denzer hat sich jüngst trotzdem nochmal an älteres Filmmaterial (aus seinem filmischen Zettelkasten) von den 30er Jahren bis heute herangewagt, um eine Collage quer durch die Zeiten zu erstellen, die er „eine Travestie zur archäologischen Grabung in Haithabu im 20. Jahrhundert“ nennt: „A propos Haithabu … noch Fragen?“ Klar gibt’s noch Fragen. Und wenn nicht, provoziert sie diese „Travestie“, die sich mit deutlicher Ironie als „ein Film der Presse- und Informationsstelle der Landesregierung Schleswig-Holstein“ ausgibt, als wollte Denzer im Spätwerk nochmal nachkarten und so den „staatstragenden“ Image-Film „Wolken – Wasser – Wissenschaft“ wie auch seine Museumskurzfilme, die inzwischen im Gottorfer Landesmuseum nicht mehr gezeigt werden, karikieren – eine späte Wiederaufnahme der Satire seines frühen Universitätsfilms „Floret Academia“. Haithabu, „die Nahtstelle zwischen Franken und Friesen, Wenden und Wikingern“, erscheint darin nicht von Ungefähr wie das berühmte gallische Dorf, widerständig gegen alle Weltmächte (freilich mal selbst eine im hohen Norden) wie Film sich als Kunst auch widerständig seiner Vernutzung und Vereinnahmung widersetzt. Noch Fragen? Zum Beispiel, ob die Wikinger trotz (oder gerade wegen) ihrer Raubzüge nicht erste Europäer waren? Provokante These, die gerade heute ganz aktuell wieder eine gewisse Dimension – Germanen versus Griechen – entwickelt … Aber bleiben wir statt solcher Travestie des heutigen Europa bei den Wikingern und in Haithabu. Wie die (prä-) historische Siedlung an der Schlei und ihre archäologische Erforschung immer wieder ge- und missbraucht wurde, zeigt der Film in seinem sublimen Subtext.
Noch Fragen? Gründeten schon die Wikinger ihre Siedlung auf Pfählen aus treuer deutscher Eiche …? (Filmstill aus „A propos Haithabu“)
Insofern fragt der Film, wie die vermeintlich objektive Wissenschaft sich zuweilen deutlich interessengeleitet in den Dienst nationaler oder gar germanisch-esoterischer Identitätsstiftung stellt, ohne das freilich zu merken oder sich unterstellen zu lassen. Denzer schließt mit diesem, seinem bisher jüngsten Film an sein Frühwerk an. Chapeau (statt Wikingerhelm) für einen kritischen Filmemacher aus und in Schleswig-Holstein – und noch nicht das letzte Wort … (jm)
„Floret Academia – ein deutsches Universitätsjubiläum 1965“, BRD 1965, 10 Min., 16 mm, S/W. Kamera, Schnitt, Produktion: Kurt Denzer, Hersteller: Film-AG im Studentenwerk Kiel.
„Düster, dunkel, knapp belichtet“, D 1991, 5 Min., 35 mm, Farbe. Buch, Produktion: Kurt Denzer, Animation, Kamera: Michael Zamjatnins, Ton: Filmton Konken, Musik: Thilo von Westernhagen, Drehbuch- und Produktionsförderung: Kulturelle Filmförderung S.-H. e.V.
„Wasser – Wolken – Wissenschaft. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel“, D 2000, 24 Min., Farbe / S/W. Buch, Regie: Kurt Denzer, Kamera: Jürgen Haacks, Kurt Denzer, hergestellt im Auftrag der CAU mit der AG-Film der CAU, Material aus 1996 – 2000.
„A propos Haithabu … noch Fragen?“, D 2015, 37 Min., HD, Farbe / S/W (unter Verwendung älteren Filmmaterials). Buch, Regie: Kurt Denzer.