DVD-Tipp:

Der Tag wird kommen

(Frankreich/Belgien 2012)

Ich mag Filme, die die Gesellschaft kritisieren, und ich liebe Filme, die diese Kritik nicht mit einem erhobenem Zeigefinger aufdringlich anbringen. Kurzum, ich mag die beiden Anarcho-Komiker Benoît Delépine und Gustave Kervern. Die beiden französischen Filmemacher haben schon mit ihrem pechschwarzen Erstlingsfilm „Aaltra“ und der über die Grenzen von Frankreich bekannten bitterbösen Filmkomödie „Louise hires a Contract Killer“ absurden Bildwitz und abgründige Situationskomik bewiesen. Mit Gérard Depardieu schickten sie 2010 in „Mammuth“ zum ersten Mal einen schwergewichtigen Star auf eine skurrile Reise in die Vergangenheit. Wie so oft ist auch in diesem Fall die Reise selbst das eigentliche Ziel. Sie führen den alternden Mann behutsam an andere beschädigte und überrundete Existenzen heran und erzählen statt von der großen Wende vom Heraufdämmern einer kleinen Zufriedenheit. Und genauso ist es auch in „Der Tag wird kommen“: Beschädigte Existenzen, wohin man auch schaut. Macht das „depri“? Keineswegs – ganz im Gegenteil!
Not (Benoit Poelvoorde) ist ein in die Jahre gekommener Punk, der nicht auf ein Bier und den regelmäßigen Besuch bei Maman et Papa verzichten möchte. Brüderchen Jean-Pierre (Albert Dupontel) hingegen ist der Vorzeige-Yuppie mit Job, Ehefrau und Kind. Widerstand? Nee, keine Zeit, muss malochen und Kohle ranschaffen. Als es aber bei Jean Pierre bergab geht, seine Fassade der Bürgerlichkeit an der entmenschlichten Leistungsgesellschaft bricht, ist es ausgerechnet sein Bruder, der ihn im Rahmen einer sehr speziellen Tour de Force durch ein kalt betongeprägtes Konsumparadies von Vorstadt von einem radikalen anderen Leben überzeugt: Aus der Not heraus entdeckt Jean-Pierre das magische Wort Selbstbestimmung.
Ist es nun eine Geschichte über Außenseiter, oder eine Geschichte darüber, dass wir alle irgendwie Außenseiter sind, oder ist mal wieder der böse Kapitalismus an allem Schuld? Bestimmt. Aber es geht in „Le Grand Soir“ (so der französische Originaltitel) um mehr. Darum, dass man miteinander befreundet sein kann, obwohl man miteinander verwandt ist. Darum, dass Badeorgien in öffentlichen Brunnen und die eigensinnige Durchsetzung des Wegerechts durchaus befreiend sein können. Darum, dass ein Scheitern gleichwohl die Hoffnung auf „Siege“ in der Zukunft nähren kann – wenn man das Scheitern nur richtig interpretiert.
„Jazz is not dead, it just smells funny“, sagte Frank Zappa einst. Mit dem Punk ist es mittlerweile irgendwie ähnlich. Er riecht nicht unbedingt nach Verwesung, aber riecht nach älteren und neueren Converse All Star von Punk-Hippstern, nach Mädels um die 20 in engen Jeans und einem Shirt der Ramones, die nicht wirklich wissen, wer die Ramones waren, nach rumhängenden Trinkern mit „radikalen“ Weltverbesserungsvorschlägen (z.B. mehr Freibier), nach verlorenen Träumen und resignativem Stolz, nach der Erinnerung an formvollendeten Krach. Aber hin und wieder weht einem auch der Duft von Revolution um die Nase (und der von Bier). Vielleicht nicht mehr weltverändernd, aber doch ein bisschen nach Umsturz und dem Drang, etwas besser zu machen oder auch nur eben diese Botschaft der Welt kundzutun: „We’re not dead!“
Fazit: Wer tief in sich noch eine kleine Punkerseele entdeckt, sollte sich diesen schwarzhumorigen Film auf gar keinen Fall entgehen lassen. Denn „Der Tag wird kommen“ ist ein gezielter Tritt in die Eier der tristen Konsumgesellschaft unserer Zeit. (Sven-Friedrich Wiese)
„Der Tag wird kommen“
Originaltitel: „Le grand soir“
Frankreich/Belgien 2012
Alamodefilm
DVD (2013)
Preis: 5,99 EUR
Erscheinungstermin: 27.9.2013
Bildformat: 2,35:1 (16:9)
Tonformat: deutsch, französisch DD 5.1
Untertitel: deutsch
EAN: 4042564143713
FSK: ab 12
Laufzeit: 92 Min.
Extras: Making of, deleted scenes, Musikvideo, easter egg, Trailer
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