19. Filmfest Schleswig-Holstein 2015
Pop-artige Plopps pro Rausch
„Rausch“ (Kai Zimmer, D 2015)
Der Kieler Journalist und Filmemacher Gerald Grote hat in seinem Band „Der Kommissar – Die Serie und ihre Folgen“ mal gezählt, wie viele Cognacs in welcher Folge der Krimi-Serie „Der Kommissar“ getrunken und wie viele Zigaretten geraucht wurden – damals, als der Rau(s)ch noch nicht aus dem TV verbannt, vielmehr 70er-hipp war. Er kam auf eine schwindelnd hohe Zahl. Neeeerdy! Der aus Kiel stammende, längst Berliner Videokünstler Kai Zimmer prostet noch einen drauf. In seiner Video-Installation „Rausch“ wird konsequent und kontinuierlich koma-getrunken, -gesüffelt oder auch nur -genippt. Dass der Rausch im Spiel ist, hört man aber an den gut drei Dutzend Plopps, wenn der Sekt multipel-orgasmisch aus den phallischen Champagner-Flaschen schießt …
Drunkshot! Hollywood ist reich an Trink-Szenen. Gefühlt fast alle solche hat Kai Zimmer in seinem jüngsten (und nach eigenem Bekunden vorletzten) Found-Footage-Opus „Rausch“ versammelt. „Plopp-plopp – lunk-lunk!“ würden Comic-Zeichner den 12-minütigen Film, in dem geschätzte 12 Liter Alkohol – biergelinde bis höchstpro(t)zentig – durch diverse Film-Kehlen rinnen, treffend betrunkblasen. Doch Zimmers Ode an das „Trunken stets und lüstern“ ist mehr als eine Aneinanderreihung und Geloope von der Traumfabrik alkoholisiertesten Träumen. Eher eine Studie über den Bilderrausch, der durch den musikalisch arrangierten Rhythmus des trunken Werdens – unvergessen: der ebenso junge wie volltrunk’ne James Cagney lallend: „I don’t need any help …“ – einnimmt, wenn nicht selbst „trunken stets und lüstern“ macht.
Am besten, man schaut sich das mit Zimmer in dessen Zimmer, wo ein Kasten Bier und zwei, drei Wodka-Flaschen auf nachdenkende Leerung warten, „entre nous“ an. Im Showroom des Filmfest SH, ganz hinten, am Herren- und dann Damenklo vorbei, ploppt das bewusst torkelnde Filmchen nicht minder perlend.
Denn Zimmer zeigt in seiner Versammlung von Trink-Szene-Splittern den hohen Ernst des Rausche(n)s. Wird wieder und wieder im Loop eingeschänkt, wird der Film um so nüchterner in seiner stringenten, geradezu manischen Reihung, in der tunnelblickig bildausschnittigen Kadrierung – in oben genannte Comic-Strip-Bildchen. „Währenddessen …“ denkt man dauernd während solcher quasi „Outtakes“ von aller Spielfilmhandlung, die doch so viel erzählt, wie Hollywood uns berauscht. Und man selbst als Zuschauer hätte jetzt gern (nicht nur) einen Drink drin.
Doch der Rausch kommt hier ohne Chemie – nur optisch. Zwischen all das Betrunk’ne montiert Zimmer immer wieder kaleidoskopische Psychedelik-Effekte. Darin buntet oder kontrastet es schwarz-weiß so flink wie Tänzerinnen ihre Beine spreizen, um zum Trinkgefäß zu werden. Wie das Auge, dass sich – wenn bereit – davon LSDichterisch berauschen lässt.
„Rausch“ ist vorderhand eine launige Studie über leinwandiges Trinkverhalten. Dahinter aber scheint – mehr noch: lauert – die Sucht auf, die alle Bildkunst ist: Unersättlich und zugleich ganz präzise wissend, wo der Bewegtbildbarthel den Most her holt. (jm)
„Rausch“, D 2015, 12 Min. Buch, Regie, Schnitt: Kai Zimmer