Lindenau: Ein Lob der Arbeit

Karl Siebigs poetischer Dokumentarfilm über die Werft Lindenau hat im Traum-Kino Premiere

Strawinskys „Sacre du printemps“ pocht wie die Hämmer der Arbeiter auf der Lindenau-Werft, wenn sie die Heck-Sektion ihres Doppelhüllentankers, die 680 Tonnen schwer eben noch am Schwimmkran hing, passgenau ans Schiff schweißen. Just jene Musik hat den Kieler Filmemacher, Maler und ehedem NDR-TV-Mitarbeiter Karl Siebig angeregt, sein 2005 auf der Lindenau-Werft gedrehtes Material zu einem poetischen Dokumentarfilm zusammenzuschneiden, der am 30.1.2015 im Traum-Kino seine Premiere feiert.
Bei der im Doppelhüllentankerbau einst weltberühmten Werft Lindenau, ihrer Insolvenz 2008 und dem hernach nur noch Siechen als Reparatur- und Service-Betrieb, denkt man natürlich gleich an eine Dokumentation übers Werftensterben. Doch Karl Siebig singt darauf ein melancholisches „Lob der Arbeit“. Musik, Strawinskys „Sacre“ wie auch jazzige Neukompositionen unter anderem von Joachim Kühn, haben sein filmisches Werk, auch die mehreren Dutzend Dokumentationen für das NDR-Fernsehen, schon immer bestimmt. Denn Siebig „lässt sich von der Kraft des Materials leiten“, dem filmischen im dialektischen Wechselspiel mit dem musikalischen. „Das entwickelt eine Eigendynamik und damit eine Zwangsläufigkeit für den Film.“ 2005 war er bei Lindenau mit Mini-DV-Kamera zu Gast – meist ganz allein, „was eine wirkliche Herausforderung war“, um einen Film über die Entstehung eines Schiffes von der Kiellegung bis zum Stapellauf zu drehen. Doch da ihm die Geschäftsleitung manche Spanten zwischen die Füße warf, konnte er das Material nie zuende drehen, es blieb liegen.
Dann aber hörte er Strawinskys monströses Werk und war an die Ballette der stählernen Schiffskörper erinnert, die er bei Lindenau gefilmt hatte. Aus einer ersten Studie, die Bilder auf den „Sacre“ zu schneiden, entwickelte sich ein 82-minütiger Film, der zu einem, wie Siebig sagt, „Lob der Arbeit“ geworden ist: Einem Porträt der Arbeiter auf der Werft, die „ihr“ Schiff noch in „quasi unentfremdeter“ Handarbeit bauen. Jenes auch von der Arbeiterbewegung der 1920er Jahre (Eisenstein lugt nicht selten aus den kraftvoll komponierten Bildern hervor) Inspirierte zeigt Kollegen wie Bozo Tukic, der seit 30 Jahren bei Lindenau arbeitet(e) und für den Schiffbau eine Herzensangelegenheit ist. Oder Ralf Wojatzki, der als Kranführer die hunderte Tonnen schweren Sektionen milimetergenau an die Schweißnaht manöveriert und bescheiden gesteht: „Ich baue die Schiffe nicht, ich lenke sie nur.“
Siebig ist ein ungemein poetischer Film über eine in Zeiten der Globalisierung aussterbende Industriearbeit gelungen. Fast sentimental wirken hier die wortkargen Schiffbauer, wenn sie in ihrer Arbeit nicht nur um des (oft kargen) Lohnes Willen aufgehen. Was sie arbeiten, vom groben Schweißen, über das Schleifen mit der Flex, „damit man die Nähte nicht sieht“, bis zur filigranen Ausbohrung des Wellentunnels zeigt nicht nur ein Stück norddeutscher Industriekultur, sondern auch den einfühlsamen Blick eines Filmpoeten für den schon vergessenen Alltag der proletarisch kreativen Arbeit. (jm)
„Lindenau – oder: Man hat ja seine Schweißtropfen hier gelassen“, D 2014, 82 Min., 4:3, Mini-DV. Buch, Regie, Schnitt: Karl Siebig, Kamera: Karl Siebig, Julia Schwenzer, Tonmischung: Stefan Schumacher, Mitarbeit: Gerd Bischoff. Filmpremiere: Freitag, 30.1.2015, 20 Uhr, Traum-Kino (Kiel, Grasweg 19). Weitere Aufführung im Traum-Kino: Do, 12.3.2015, 20 Uhr.
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