56. Nordische Filmtage Lübeck 2014

Spielerische Integration

„Ich habe einen Traum“ (Fredo Wulf, D 2014)

„Ohne Worte entstehen lange Geschichten zwischen euch“. Was als Anleitung für die Improvisationsübungen einer Gruppe junger Amateurschauspieler gemeint ist, bringt auch das Ziel für ein ungewöhnliches Projekt auf einen Nenner. Indem Kieler Oberstufen-Schüler zusammen mit jungen, meist afghanischen Flüchtlingen ein gemeinsames, auf ihren jeweiligen Lebenserfahrungen basierendes Theaterstück inszenieren und aufführen, sollen sie Verständnis für die Situation des Anderen, Respekt füreinander entwickeln und ihre aus diesem Prozess gewonnenen Erkenntnisse letztendlich einem Publikum zugänglich machen. Ein hoch gestecktes Ziel, denn zwischen den jungen Menschen steht nicht nur eine Sprachbarriere. Ihre Sozialisation, ihre Zukunftswünsche, -ängste und -perspektiven könnten unterschiedlicher kaum sein. Der Dokumentarfilm „Ich habe einen Traum“ von Fredo Wulf begleitet die Schüler, Flüchtlinge und Projektleiter vom ersten Treffen bis zur Premiere.
Das Theaterprojekt gerät auf mehreren Ebenen zur spannenden Angelegenheit. Immerhin sind zumindest die Flüchtlinge absolute Theaterneulinge, beide Gruppen müssen sich zügig auf ein gemeinsames, mimisches Vokabular aneignen. Die interessanteste Herausforderung für die Truppe ist aber wohl, dass das Stück selbst erst in gemeinsamer Arbeit entstehen muss, nichts ist vorgegeben. Während der Inszenierung kommt es zu bewegenden Momenten, als die Gruppe der Flüchtlinge ihre Erlebnisse als stumme, pantomimische Erzählung gestalten: Die deutschen Schüler zeigen sich schwer beeindruckt von der offensichtlichen Authentizität der Aufführung und berührt von den Schicksalen ihrer Mitspieler. An dieser Stelle werden Effekt und Erfolg des Projektes deutlich, ein nachhaltiges Verstehen und Akzeptieren setzt ein. Für die Flüchtlinge bedeutet diese Anerkennung in der Theatergruppe viel, die allermeisten knüpfen wohl über das Projekt die ersten zwischenmenschlichen Kontakte in Deutschland außerhalb ihrer Familie.
Gemeinsam erzählte Träume: SchülerInnen beim Theaterprojekt (Foto: Wulfmedien)
Das Projekt – eine Kooperation der Gemeinschaftsschule Kiel-Friedrichsort mit der ZBBS (Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migranten e.V.) – ist eigentlich schon zu diesem Zeitpunkt ein Integrationserfolg. Dramaturgisch behält „Ich habe einen Traum“ aber das Hinarbeiten auf die Premiere im Fokus. Die ursprüngliche Gruppenaufteilung in Deutsche und Flüchtlinge löst sich in der fieberhaften Vorbereitung der Aufführung vor Wulfs Kamera langsam auf. Theaterstück und Film enden mit dem selben Schlussbild: Junge Menschen reichen sich die Hand und beschwören eine friedliche, gemeinsame Zukunft.
Dokumentarfilmer Fredo Wulf („Eisen bewegen“, 2012; „Katze gut“, 2007) entschied sich für die erzählerische Form des „Direct Cinema“: Die Chronologie des Gefilmten wird nicht im Schnitt aufgehoben, das Geschehen nicht kommentiert, und Interviewsituationen werden nicht (künstlich) herbeigeführt. Es stellt sich das Gefühl des unmittelbaren und unvoreingenommenen Dabeiseins ein. Unterstützt wird dies durch Wulfs sehr bewegliche Kamera, oft mittendrin im Probengeschehen. Auch konzentriert sich Wulf wohl bewusst nicht auf einzelne Protagonisten, (s)eine Sicht „von außen“ auf die Gruppe bleibt erhalten. Man möchte meinen, ähnlich wird es den jungen Amateurschauspielern gehen, die die jeweils andere Gruppe zumindest zunächst als einen undifferenzierten Block „der Anderen“ wahrnimmt.
„Ich habe einen Traum“ ist eine unprätentiöse, dem Projekt sehr angemessene Dokumentation, die ohne Dramatisierung oder Überspitzung auskommt und dennoch die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit pädagogisch gestalteter Integrationsarbeit deutlich herausarbeitet. (dakro)
„Ich habe einen Traum“, D 2014, 65 Min. Buch, Regie: Fredo Wulf, Poduktion: Wulfmedien / Zeitzeichen, Verein für Geschichte, Politik und Dokumentation e.V., www.zbbs-sh.de.
Der Film feiert zusammen mit dem im Schülerprojekt entstandenen Film „Kofferpacken Tschamedan“ (27 Min.) seine Kiel-Premiere am Donnerstag, 13.11.2014, 18.30 Uhr im Kino in der Pumpe. Weitere Aufführung: Fr, 14.11.2014, 18.30 Uhr.
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