56. Nordische Filmtage Lübeck 2014
Korrekte Lebensführung
„Bloß kein Stress“ (Lars Jessen, D 2014)
Schon die Namen sprechen Bände. Die Hauptrolle in Lars Jessens neuestem Film „Bloß kein Stress“ hat die sich unbedarft gebende Patchworkfamilie Heller, die zu Beginn der Vorstadtkomödie gar nicht so helle zu sein scheint, sondern sich von ihren neuen Nachbarn und „Kontrahenten“, den mustergültigen Trimmborns, einen tagtäglichen Wettstreit um eine möglichst korrekte Lebensführung aufzwingen lässt. Soziale Konkurrenz und Integration in einer spießigen Umgebung um jeden Preis stehen auf dem täglichen Stundenplan. Dabei stehen die Anpassungsanforderungen, dazu zu gehören und bloß nicht anzuecken, in seltsamem, dennoch typischen Kontrast zu der provinziellen Schlafstadt und den unaufgeregten Arbeitsplätzen von Jens und Eva Heller. Den Hellers hilft ihre anfängliche Gelassenheit wenig. Denn Trimmborns gelingt es, in aufdringlicher Nachbarschaft, Wand an Wand im Doppelhaus, am Arbeitsplatz, in Vorschule und Schule die Hellers zu bevormunden, ihnen Fahrgemeinschaft zur Arbeit, Schulfahrdienst und Zusatzförderung der Kleinsten aufzunötigen. Die Hellers machen anfangs belustigt, später genervt mit, um des lieben Friedens willen und weil sie halt dazu gehören wollen. Natürlich spitzt sich die Situation immer mehr zu. Umso mehr die Hellers sich anpassen, umso deutlicher scheinen sie überfordert und schlittern schließlich in den Eklat, obwohl zu guter Letzt die Trimmborns ganz ohne Zutun der Hellers auf ihr Normalmaß zu Recht gestutzt werden. Das Ganze wird freilich als leichte Kost serviert, spielt sich in komödiantischen Scharmützeln ab, die ein versöhnliches Ende finden.
Familie Heller in neuer Nachbarschaft (Foto: Zieglerfilm, Köln)
Komödienspezialist Jessen („Am Tag als Bobby Ewing starb“, „Die Schimmelreiter“, „Fraktus“ u.a.) trägt den Stoff allenthalben kräftig auf, weiß trotz aller Absurditäten der alltäglichen Herausforderungen die Pointen treffsicher zu setzen. So hält er unserer Leistungsgesellschaft, der Werbung und Medien nicht selten versuchen vorzuschreiben, wie sie leben sollte, einen augenzwinkernden Spiegel vor. Political Correctness, Umweltschutz und Bildungsbeflissenheit werden aufs Korn genommen und mit spielerischer Ironie grotesk zugespitzt.
Das beste Beispiel dafür liefert die auch als Förderagentur titulierte Vor- und Nachhilfe-Schule mit dem wunderbaren Namen „VoSchuMusiFobia“, die einen gleich an Angststörungen denken lässt, in Wahrheit aber für „Vorschule mit musisch geprägter Fortbildungsagenda“ steht und die schönsten Assoziationen zwischen Pisa-Studien-Bürokratie und Waldorfschulen-Klischee zu bedienen scheint. Dementsprechend bieten die Leiter der Einrichtung, Frau Uhlenhorst (Meike Droste) und Herr Hitzegrad (Jan Georg Schütte), eine teure Rundumversorgung für die lieben Kleinen bei „akutem Bedarf“ an „pädagogischer Unterstützung“, was nach Herrn Hitzegrads Bekunden alle Kinder nötig hätten. Dabei sind es am Ende die Kinder der Familien, die am leichtesten alle aufgeblasenen Konflikte und Intrigen der Erwachsenen ignorieren und nicht nur gute Nachbarschaft pflegen können.
Jessens Schauspielerensemble um die beiden Hauptdarsteller Katharina Wackernagel (Eva Heller) und Fritz Karl (Jens Heller) merkt man den Spaß an, den sie bei den Dreharbeiten hatten. So kommt die Familiengeschichte (Buch: Stefan Rogall) für jung und alt sehr unterhaltsam rüber und hat einem passenden Programmplatz im vorweihnachtlichen Hauptabendprogramm beim ZDF (20.15 Uhr) zwei Tage vor Heiligabend gefunden. (Helmut Schulzeck)
„Bloß kein Stress“, Deutschland 2014, 88 Min., Farbe. Regie: Lars Jessen, Buch: Stefan Rogall, Kamera: Michael Tötter, Darsteller: Katharina Wackernagel (Eva), Fritz Karl (Jens), Oliver Wnuk (Thilo Trimmborn), Rike Schmid (Peggy), Produktion: Elke Ried, Thorsten Flassnöcker, Zieglerfilm Köln GmbH für das ZDF.