Kommentar:

Wasser übern Wasserkopf

Ein neues mediales Phänomen geistert seit gut sechs Wochen durchs Netz und spült dahin fleißig (mittlerweile einige Millionen) Amateurfilme: die Ice Bucket Challenge (IBC). Teilnehmer werden von vorher solche Annehmenden herausgefordert, sich einen Eimer Eiswasser über den Kopf zu gießen, dies zu filmen und über soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter zu verbreiten – oder aber an die ALSA, eine US-amerikanische Non-Profit-Hilfsorganisation im Kampf gegen die Krankheit ALS – Amyotrophe Lateralsklerose – 100 $/€ zu spenden.
Ein Hoax, ein Kettenbrief, eine Kinderei? Ja! Daher abzulehnen? Nicht unbedingt! Denn die sich virusartig im Netz verbreitende Aktion schafft den Hilfsorganisation für die seltene und daher – weil Pharma-Konzernen kaum Profit versprechende – wenig beforschte Krankheit Aufmerksamkeit und jüngst ein sprunghaft gewachsenes Spendenaufkommen. Man mag dazu als sich selbst begießender Pudel, der nicht an den Kern des Problems kommt, stehen, wie man will, der wassergroßkopfert wuchernde Netz-Irrsinn geht wenigstens nicht ganz ins Leere. Und er erschafft filmische Kreativität. Microsoft-Gründer Bill Gates, herausgefordert von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, präsentiert nicht nur eine (vermeintlich) eigens konstruierte Überschütt-Mechanik, er setzt sie filmisch auch professionell in Szene. Ebenso in manchen Videos der mittlerweile einige Millionen zählenden Wasserköpfe ist mehr Kreativität zu entdecken als etwa im Video des hier Schreibenden, der sich – wie so viele andere Halbherzige – im vor Wasserschäden sicheren Duschbad mit moderat kaltem Wasser übergoss (Eiswürfel waren gerade nicht im Eisfach).
Wer nicht an einer bislang unheilbaren Krankheit, an Unfreiheit, Ausbeutung, Krieg und anderen Krankheiten des Kapitalismus leidet, tut sich leicht, eine Herausforderung anzunehmen, die bestenfalls einen kühlen Kopf verschafft. An dem wäre es nun auszubrüten, wie man das Netzphänomen wirklich kreativ nutzen und politisch aktiv machen könnte – auch und gerade für noch manch anderes, das in der Welt im Argen liegt. Ein Anfang ist gemacht, aber würde man sich für alles, was in unserem ob IBC im Netz sichtbar werdenden Namen schief läuft, nicht nur die nötige Asche, sondern Eiswasser aufs Haupt schütten, trocknete man wohl nie. (jm)
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